Krisenkino: Die Angst vor der Apokalypse

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„Take Shelter“ thematisiert die großen Krisen, „The Grey“ die Aussichtslosigkeit des Kampfes gegen den Tod. Der US-amerikanische Film hat einen erstaunlich ernsthaften Endzeit-Existenzialismus entwickelt.

Das größte Kompliment, das man einem Menschen machen kann, sei, auf sein Leben zu blicken und zu sagen: „Es ist gut“. Meint jedenfalls ein Arbeitskollege: „You've got a good life, Curtis.“ Curtis ist Bauarbeiter, seine geliebte Frau näht nebenher, um das bescheidene Einkommen aufzubessern. Doch eine Ahnung von Unheil hängt über ihrer so normal wirkenden Existenz. Curtis wird gewohnt souverän von Michael Shannon gespielt, dem darstellerischen Inbegriff der zerrütteten Psyche im US-Gegenwartskino.

Lebhafte Albträume plagen Curtis: Der Familienhund greift an, gewaltige Sturmfronten ziehen auf. Erst fallen schwere, ölige Regentropfen. Später regnet es tote Vögel. Also will Curtis einen Schutzbunker für seine Familie bauen, „take shelter“, wie der Filmtitel verspricht. Doch Regisseur Jeff Nichols will eine ambitionierte Allegorie: Wo gibt es noch Schutz in der krisengebeutelten Gegenwart? Curtis zweifelt an der eigenen geistigen Gesundheit, aber investiert alles in den Schutzraum – die Drohung des finanziellen Ruins intensiviert das aktuelle Krisengefühl. Der Sturm, den Nichols in seinem psychologischen Katastrophenfilm inszeniert, spielt sich im Innern ab, trotz einiger bewährter Verunsicherungsmethoden: Die dramatische Verwendung von Wetter und Landschaft, das Hochfahren aus Albträumen, die Zeichensprache-Konversationen mit Curtis' gehörloser Tochter, verblüffende Vogelformationen beschwören überzeugend die Atmosphäre des nahen Endes.

Dabei ist nichts im Kino so billig zu haben wie die Apokalypse: Roland Emmerichs Maya-Kalender-Untergangsvision „2012“ darf als quietschvergnügter Höhepunkt der Materialschlacht-Endzeitlust gelten, die in der globalen Vernichtung vor allem das totale Spektakel sieht. „Take Shelter“ stellt sich gegen diese Tendenz: Es geht um Glaubhaftigkeit in der Working-Class-Milieuzeichnung, um Ernsthaftigkeit in der Konfrontation mit einer ungreifbaren, unausweichlichen Angst. Die Vogelschwärme und die Hauptdarstellerin (Jessica Chastain als mütterliche Schnittstelle zwischen Familienalltag und kosmischen Anwandlungen) erinnern an Terrence Malicks „The Tree of Life“, aber Nichols will weniger Weltenschau als Thriller-Spannung mit schleichender Verstörung und metaphysischen Anklängen. Die Krankheit seines Helden ist die Krankheit einer Gesellschaft am Abgrund: Der Irrsinn hat nicht nur Methode. Er behält recht.

Die Ernsthaftigkeit dieses Endzeit-Existenzialismus in „Take Shelter“, einem Film auf dem schmalen Grat zwischen Festivalprestige und Publikumswirksamkeit, findet eine überraschende Allianz – im neuen Actionvehikel für Liam Neeson: Der Abenteuerfilm „The Grey“ (Österreich-Start: Mitte April) schickt seine Figuren in die härteste Eiszeit seit John Carpenters Polarstation-Horror „The Thing“. Dabei wirkt der Film der Papierform (und dem Termin des erfolgreichen US-Starts) nach wie der nächste Eintrag in den profitablen, oberflächlichen Thriller-Zyklus um Neeson als zornigen Jedermann seit dem Rache-Reißer „Taken“. Der Regisseur – Joe Carnahan – zeichnete zuletzt für Sub-Tarantino-Gewaltspaß („Smokin' Aces“) und die laute, leere Kinoversion von „Das A-Team“ verantwortlich.

Szenenbild aus ''The Grey''
Szenenbild aus ''The Grey''(c) AP (AP Photo/Open Road Films, Kimberley French)

Das Ende ist nicht abzuwenden

„The Grey“ wird Carnahan nicht den Ruf eines subtilen Stilisten eintragen, aber als harter Survival-Suspense ist der Film erstaunlich desillusioniert und seriös in Jack-London-Manier: Neeson spielt einen suizidalen Wolfsjäger, dessen Flugzeug samt Arbeitertrupp in der arktischen Wildnis abstürzt. Gegen die Wolfshorden haben sie nur Feuer: ein aussichtsloser Überlebenskampf. Einer nach dem anderen fällt den Wölfen zum Opfer, die – auch weil es computeranimierte Kreaturen sind – wie eine rein metaphorische Kraft wirken. Einmal wird eine Fackel entzündet, die Augen eines Dutzends Wölfe werden in der Dunkelheit um das Notlager sichtbar: ein Bild wie aus dem Märchen. Wie in „Take Shelter“ hat die Vision des Endes etwas von einer mythischen Prophezeiung, die schon lange in den Köpfen schlummerte und sich nun manifestiert, um ihre überfällige Einlösung zu fordern.

Der klassische männliche Kinomythos zerbröselt: Erst wird noch aufgetischt (einer nennt Werner Herzogs „Grizzly Man“ den „Dokumentarfilm dieses Arschlochs über die Schwuchtel, die Bären liebte“), schließlich redet man nur mehr über die Konfrontation mit den wie aus dem Nichts den Tod bringenden Wölfen. Das dramaturgische Wechselbad von Naturgewalt und Todesmonologen ist etwas monoton, aber gezielt: Das Ende ist nicht abzuwenden, nur aufzuschieben. Alles, was man dabei gewinnt, ist Zeit für ein wenig Reflexion. Nachdem das US-Kino seit Dekaden den Tod hauptsächlich als bedeutungslose Massenabfertigung trivialisiert, wird es jetzt bei aller gewohnheitsmäßigen Realitätsferne von den gegenwärtigen Ängsten wieder eingeholt, zumindest an den Rändern: „Wenn wir von ,Ernsthaftigkeit‘ in Fiktionen sprechen“, schrieb Thomas Pynchon im Vorwort zu seinem Sammelband „Spätzünder“, „dann reden wir letztlich über eine Haltung zum Tod“. Kaum eine Traumfabrik-Produktion der letzten Jahre hat so viel Ernsthaftigkeit gezeigt wie dieses ruppige, gar nicht originelle Abenteuer über Liam Neesons Todeskampf mit CGI-Wölfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2012)

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