Alles ist Politik: In Washington wie in Hollywood

(c) REUTERS (MARIO ANZUONI)
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Das Oscar-Rennen zeigte heuer die enge Verflechtung zwischen Politik und Filmbusiness auf.

Hollywood-Veteran Jack Nicholson war also wieder einmal ausersehen, den Hauptpreis zu vergeben. Als er am Ende der Oscar-Zeremonie auf die Bühne tänzelte und dabei sein charakteristisches breites Grinsen aufsetzte, hatte er indes eine Überraschung in petto. Er kündigte die First Lady an, und auf Knopfdruck schaltete die Regie aus dem Dolby Theatre in Los Angeles live ins Weiße Haus in Washington. Auf dem Bildschirm erschien Michelle Obama, die zuvor ein Dinner für die Gouverneure des Landes ausgerichtet hatte.

Kurz vor Mitternacht Ortszeit präsentierte sie die neun nominierten Filme und verkündete den Sieger: „Argo“. Regisseur und Hauptdarsteller Ben Affleck glaubte zunächst an eine Halluzination. Die Glückwünsche, die ihm der neue Außenminister, John Kerry, und Ex-Präsident Jimmy Carter vor der Gala hatten zukommen lassen, sollten sich jedoch als gutes Omen herausstellen. Affleck hatte Kerry 2004 im Präsidentschaftswahlkampf gegen George W. Bush tatkräftig unterstützt. Filmmogul Harvey Weinstein, einer der prominenten Obama-Spender aus der Filmbranche, fädelte jetzt den Coup mit der First Lady ein, die jüngst erst „Beast“-Jungstar Quvenzhané Wallis empfangen hat.

Dass das Weiße Haus direkt in die Oscar-Verleihung involviert ist, hat es es nicht einmal in der Ära des Schauspieler-Präsidenten Ronald Reagan gegeben. Reagan startete seine Karriere als Star in eher zweitklassigen Filmen, danach avancierte er zum Boss der Schauspielergewerkschaft – ehe er sich schließlich der Politik zuwandte. In seinem ersten Jahr als Präsident hatte er bloß eine Video-Grußbotschaft an die Oscar-Gemeinde aufgezeichnet. Nach dem Attentat durch John Hinckley, einen obsessiven Jodie-Foster-Fan, wurde die Gala damals verschoben.

Die Nähe des Filmbusiness zum Weißen Haus existiert seit der Kennedy-Präsidentschaft. Nach Höhepunkten unter Reagan und Bill Clinton, als Frank Sinatra (bei Kennedy und Reagan) sowie Barbra Streisand und Steven Spielberg (bei Clinton) im Präsidentensitz ein und ausgingen – und zuweilen im Lincoln-Zimmer schliefen, was Spielberg womöglich zu seinem Film inspiriert haben mag – erreichte sie unter Obama ihren Zenit. Clinton präsentierte Spielbergs Lincoln-Film zuletzt sogar bei den Golden Globes, und noch vor dem offiziellen Kinostart erlebte er im privaten Screening-Room des Weißen Hauses seine Premiere.

Versteckte Spielberg-Botschaft?

Manche Kritiker lasen in den Film gar eine Botschaft an Obama hinein: Um Großes zu bewerkstelligen – die Abschaffung der Sklaverei –, ist es mitunter notwendig, zu schmutzigen Tricks zu greifen. Als Favorit ins Oscar-Rennen gegangen und mit zwölf Nominierungen ausgezeichnet, schwanden indessen die Chancen des Polit-Epos Spielbergs zusehends. Auch dem zweiten großen Favoriten, Kathryn Bigelows „Zero Dark Thirty“, mit ideeller Unterstützung und Sympathie der Obama-Regierung entstanden, wurden die politischen Implikationen zum Verhängnis. Die von Senatoren losgetretene Debatte über Folter – im Speziellen über „Waterboarding“ –, eine Meuchelkampagne in Hollywood machten die Oscar-Chancen des Politthrillers zunichte. Plötzlich fand sich Bigelow auf der Seite der Folterverfechter um Ex-Vizepräsident Dick Cheney wieder, wogegen sie sich energisch, aber erfolglos zur Wehr setzte.

Keiner der politischen Filme blieb ungeschoren. Selbst „Django Unchained“ handelte sich Vorwürfe wegen „political incorrectness“ ein: die Häufung des Schimpfworts „Nigger“. Zehn Millionen Dollar gaben „Lincoln“ und „Argo“ allein für die Oscar-Kampagne aus, aus der der Politkrimi über die Befreiungsaktion für US-Diplomaten im Iran als Sieger hervorging – eine Hommage an Hollywood-Chuzpe. Statt Spielberg freute sich ein anderer Obama-Intimus: „Argo“-Ko-Produzent George Clooney.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2013)

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