Der Oscar ist ein Spießer-Preis

An Oscar statue is seen outside the Dolby Theater during preparations ahead of the 87th Academy Awards in Hollywood
An Oscar statue is seen outside the Dolby Theater during preparations ahead of the 87th Academy Awards in HollywoodREUTERS
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Wer heute Nacht einen Academy Award gewinnt, hat nur ganz am Rand mit der Qualität der jeweiligen Leistung zu tun. Die Oscars feiern vielmehr die Illusion, dass der Beste gewinnt.

Wer einen Oscar mit nach Hause nehmen darf, entscheiden zum Großteil weiße Männer jenseits der Sechzig. Dass die Academy of Motion Picture Arts and Sciences (Ampas), die die Auszeichnung vergibt, überaltert ist und sich die Mitgliederliste seit der Gründung 1929 kaum diversifiziert hat, konnte zunächst lediglich gemutmaßt werden. Vor einigen Jahren hat dann die „L.A.Times“ einen Großteil der Stimmberechtigten der exklusiven, elfenbeinturmartigen Organisation ausgeforscht: Mehr als 90Prozent der Mitglieder sind weiß, mehr als drei Viertel männlich, das Durchschnittsalter lag 2013 bei 63. Bei einer derartigen Zusammensetzung fällt es dann schon etwas leichter nachzuvollziehen, weshalb gediegene Historienepen und anständig aufbereitete Dramen bessere Chancen auf einen Goldjungen haben als weniger mehrheitsfähige, kontroverse und provokante Filme.


Bloß nicht ernst nehmen. Genau: Der Oscar ist ein Spießer-Preis, das hochoffizielle Zeremoniell eine Mischung aus Selbstdarstellung und gegenseitiger Versicherung, dass der „besondere Film“ immerhin bei dieser Auszeichnung eine Chance hat, wenn er schon an der Kinokasse untergeht. Ernst nehmen sollte man die Verleihung also keinesfalls, jedenfalls nicht hinsichtlich der künstlerischen Wertigkeit der nominierten Produktionen. In Bezug auf die kommerzielle Logik der Filmindustrie, die in Hollywood längst auch alle kreativen Entscheidungsprozesse infiziert hat, kann man hingegen einiges lernen. Regisseur William Friedkin, der für seine Arbeit an „Brennpunkt Brooklyn“ einen Oscar erhalten hat, nannte die Verleihung „die großartigste Werbeveranstaltung, die jemals eine Industrie für sich selbst entworfen hat“.

Während der diesjährigen Berlinale mutmaßte das wichtigste Filmindustrie-Branchenblatt „Variety“, ob das deutsche A-Listenfestival nicht eine optimale Gelegenheit sei, um potenzielle Oscar-Filme für das Folgejahr zu lancieren. Unternehmen hätten dann ein gutes Jahr Zeit, um ihre Pferde in Stellung zu bringen. Gleich zwei Produktionen, die heuer als „Bester Film“ nominiert sind – „The Grand Budapest Hotel“ von Wes Anderson und „Boyhood“ von Richard Linklater – seien bereits bei der Berlinale 2014 vom Stapel gelaufen. Ein gewichtiges Argument, denn je länger man Zeit hat, um Aufmerksamkeit bei den Academy-Mitgliedern für eine Produktion zu generieren, desto wahrscheinlicher ist eine Nominierung.

Und die sorgt wiederum für einen Anstieg der verkauften Kinokarten. Nicht wenige behaupten, dass die Aussicht auf einen Oscar-Sieg gewisse Filme überhaupt erst möglich macht: Denn ohne den Sex-Appeal einer möglichen Auszeichnung mit dem bekanntesten Filmpreis der Welt wären historische Dramen wie „The Imitation Game“ oder „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ schwer ans Publikum zu bringen. Als Oscar Bait, also Oscar-Köder, werden solche Produktionen abschätzig bezeichnet: ernsthafte Geschichten zu schwierigen Themen, nicht selten ausgespielt vor dem Hintergrund historischer Konflikte und umgesetzt von Hollywoods Toptalenten. In einer Episode der satirischen US-Animationsserie „American Dad!“ produziert die Hauptfigur den Film „Oscar Gold“ über einen alkoholkranken, psychisch beeinträchtigten jüdischen Burschen und seinen krebskranken Hund zur Zeit des Holocaust. Gar nicht so weit weg von der Realität.


Gute Chancen für Biopics. Die neun Filme, die heuer in der Königskategorie „Bester Film“ antreten, sind jedenfalls klassisches Oscar-Material. Und das nicht nur, aber schon auch, da sie allesamt Männergeschichten erzählen. Mit „Selma“, „The Imitation Game“ und „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ sind außerdem gleich drei Filme nominiert, die zum einen in das Academy-Lieblingsgenre des historischen Dramas fallen und zum anderen auch noch auf wahren Begebenheiten und Persönlichkeiten beruhen – Biopics haben immer gute Oscar-Chancen. „The Grand Budapest Hotel“, „Whiplash“ und „Boyhood“ sorgen im heurigen Nominierten-Klub für das obligatorisch gewordene Indie-Flair, während Clint Eastwoods kontrovers diskutiertes Kriegsdrama „American Sniper“ mit einem nordamerikanischen Einspielergebnis jenseits der 300 Millionen Dollar (!) wohl auch nach der Verleihung der einzige Film bleiben wird, der in die kommerzielle Kategorie eines Blockbusters fällt. Interessanter oder auffälliger ist an der heurigen Selektion allerdings, dass die zuletzt so bemüht etablierte Diversity, also die Vielfältigkeit, nicht greift. Immerhin: Zwei der Produktionen, die als „Bester Film“ nominiert sind, stammen nicht von weißen Männern. „Birdman“ wurde vom Mexikaner Alejandro G. Iñárritu inszeniert, die Afroamerikanerin Ava DuVernay hat bei „Selma“ Regie geführt. Dennoch: Mit dem Hashtag #oscarssowhite empörte sich die Internetgemeinschaft darüber, dass alle zwanzig nominierten Schauspieler weiß sind.

Gerechtigkeit und Chancengleichheit sind in der Filmindustrie, und natürlich auch bei den Oscars, aber ohnehin nur leere Floskeln, die von wirtschaftlichen Wirklichkeiten ausgehebelt werden. „For your consideration“: Diese drei Wörter liest man sogar als Industrie-Outsider häufig, jedenfalls von November bis Jänner, dem Höhepunkt der Oscar-Saison. Mit nicht selten ganzseitigen Anzeigen in führenden Filmindustriemedien und gewaltigen Internet-Bannern sollen Academy-Mitglieder immer wieder auf den jeweiligen Film aufmerksam gemacht werden, in der Hoffnung, dass sie dann, wenn es ernst wird, auch dafür stimmen. Die Produzenten pulvern zig Millionen US-Dollar in Kampagnen, in den Unternehmen sorgen eigene Oscar-Beauftragte für den geschmeidigen Ablauf. Auch nachdem sich Studios und Academy verständigt haben, zu aggressives Campaigning zu untersagen (ein Produzent von Kathryn Bigelows „The Hurt Locker“ hat damals Kollegen durchtelefoniert, damit sie für ihn stimmen – und wurde disqualifiziert), haben unabhängig produzierte Filme mit geringeren Werbemitteln schlechtere Karten.


Hauptsache, die Kampagne stimmt. Die Oscar-Kampagnen sind Chefsache: Erfolgsproduzent Scott Rudin sorgt für gewöhnlich persönlich dafür, dass seine Produktionen die größtmögliche Chance auf eine Auszeichnung haben. Er orchestrierte die PR-Feldzüge für Oscar-Bait-Filme wie „No Country for Old Men“ oder „The Hours“. 2011 wurde der Vorwurf laut, Rudin würde zu aggressiv auf potenzielle Auszeichnungen setzen. Dass das von ihm produzierte, von Kritik und Publikum lauwarm aufgenommene und zu Recht bereits in Vergessenheit geratene Schmalz-Drama „Extrem laut & unglaublich nah“ gleich mehrere Nominierungen einheimste, galt branchenintern als Beweis, dass man mit dem richtigen Campaigning selbst unterdurchschnittliche Stoffe in die engere Auswahl zum populärsten Filmpreis der Welt hieven kann.

Nur Produzenten-Kapazunder Harvey Weinstein spielt das Oscar-Spiel ähnlich erfolgreich: Er soll 2001 sogar das Gerücht gestreut haben, der reale John Nash, Hauptfigur des damaligen Favoriten „A Beautiful Mind“, sei ein glühender Antisemit gewesen, um die Gewinnchancen des Films zu mindern. Legendär sind seine Partys, mit denen er versucht, bei wichtigen Entscheidungsträgern von Hollywood Stimmung für seine Produktionen zu machen. Für Harvey Weinstein ist die Rechnung häufig aufgegangen: 1998 hat sein „Shakespeare in Love“ groß abgeräumt, 2010 machte sich das 15-Millionen-Dollar-Investment in die Oscar-Kampagne für „The King's Speech“ bezahlt. Vier Auszeichnungen gingen an das historische Drama, das projektierte weltweite Einspielergebnis stieg von 30 Millionen auf 500 Millionen (!) Dollar an. Auch heuer mischt Weinstein mit: Sein Unternehmen vertreibt den achtfach nominierten „The Imitation Game“ exklusiv in den USA.

Wer also heute Nacht etwas gewinnt, hat nur ganz am Rand mit der Qualität der Leistung zu tun. Die Oscars feiern das, was Hollywood am besten kann: die Illusion. Dass der Beste gewinnen wird. Dass die Auswahl der Nominierten unabhängig getroffen wurde. Dass all das nichts mit Geld zu tun hat.

Oscars 2015

Der Academy Award,besser bekannt als Oscar, wird heute Abend zum 87.Mal vergeben. Die Verleihung findet im Dolby Theatre in Los Angeles statt und wird vom Schauspieler Neil Patrick Harris moderiert.

Der erste Oscar ging 1929 an den Kriegsfilm „Wings“. Seit 1941 bleiben die Gewinner bis zum Moment der Verleihung geheim. 1953 wurde die Gala erstmals im Fernsehen übertragen.

Die Nominierten für den besten Film:
„American Sniper“ von Clint Eastwood,
„Birdman“ von Alejandro G. Iñárritu, „Boyhood“ von Richard Linklater, „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ von James Marsh, „Grand Budapest Hotel“ von Wes Anderson, „The Imitation Game“ von Morten Tyldum, „Selma“ von Ava DuVernay und „Whiplash“ von Damien Chazelle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2015)

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