Der Oscar der politischen Bekenntnisse

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Statements wie die von Patricia Arquette, die gleichen Lohn für Frauen fordert, gehören längst zum guten Ton bei der Gala zur Verleihung der Academy Awards.

Der Letzte, der die Academy zum Handeln zwang, war Michael Moore. 2003, den Oscar für seine Dokumentation „Bowling for Columbine“ frisch in Händen, nahm er die Gelegenheit wahr und wandte sich – guter, alter rhetorischer Trick – direkt an den abwesenden Präsidenten: „Wir sind gegen diesen Krieg, Mr. Bush. Schämen Sie sich, Mr. Bush. Schämen Sie sich!“ Beim zweiten „Shame on you“ setzte schon das Orchester ein, das offenbar das Signal bekommen hatte, ihn zu übertönen, aber es war zu spät: Die Beschimpfung des US-Präsidenten ging um die Welt.

Seither wird die Oscar-Gala angeblich zehn Sekunden zeitversetzt übertragen.

Noch andere Kniffe hat sich die Academy einfallen lassen, um politische Demonstrationen zu unterbinden. Seit Marlon Brando 1973 die indianische Schauspielerin Sacheen Littlefeather auf die Bühne schickte, damit sie in seinem Namen den Oscar für „Der Pate“ ablehne und gegen die Behandlung der Indianer in der Filmindustrie protestiere, müssen Prämierte den Preis selbst entgegennehmen. Und dass man im Vorfeld oder währenddessen Druck auszuüben versucht, gehörte ohnehin zur Routine: Littlefeather drohte man, sie mit Gewalt von der Bühne zu zerren, sollte sie sich nicht kurz halten. Susan Sarandon und Tim Robbins wurden im Vorfeld kontaktiert, sie mögen es unterlassen, die Schließung der Camps für HIV-infizierte Flüchtlinge aus Haiti zu fordern. Anschließend sprach der damalige Academy-Präsident Bob Rehme ein Oscar-Verbot für die beiden aus. Sein Statement: „Das ist eine Show über Filme und keine über Politik.“

„Danke für Ihren Mut“

Doch die Interventionen wurden im vergangenen Jahrzehnt weniger. Und das, obwohl die Frequenz politischer Statements sogar zugenommen hat. Einst unerwünscht, gehören sie nämlich längst zum guten Ton, zumal auch eine immer größere Zahl der nominierten Filme sich gesellschaftspolitische Themen vorknöpft. Wenn man „Selma“, das Geschichtsdrama rund um Martin Luther King, auszeichnet, ist schließlich zu erwarten, dass der Preisträger (John Legend für seinen Song „Glory“) darauf hinweist, dass die Diskriminierung von Afroamerikanern nicht einfach Geschichte ist: „Es sind heute mehr Schwarze unter der Kontrolle der Justiz als zu Zeiten der Sklaverei 1850! Leute, die zu unserem Lied marschieren, sollen wissen, wir sind bei euch.“ Dass Laura Poitras, deren Film „CitizenFour“ zum besten Dokumentarfilm gekürt wurde, sich bei Staatsfeind Edward Snowden vor laufenden Kameras für seinen Mut bedankte, war noch vergleichsweise brisant, konnte aber auch nicht wirklich überraschen.

So gesehen waren die politischen Bekenntnisse der Oscar-Nacht 2015 wohlfeil: Patricia Arquette musste, anders als damals Michael Moore oder Marlon Brando, nicht mit einem Buh-Orkan rechnen, als sie Gleichberechtigung und gleiche Bezahlung für Frauen forderte. Und auch Alejandro González Iñárritu, der seinen Preis für den Besten Film („Birdman“) den jungen Immigranten in den USA widmete, konnte sich des Beifalls sicher sein. Es war ein berührender, ehrlicher Moment. Doch in Summe gesehen wirkten die Statements kalkuliert. Ganz abgesehen davon, dass manche schlicht unter der Rubrik „Gehört sich“ zu verbuchen sind: Es gehört sich, dass ein Schauspieler, der für die bravouröse Darstellung eines von Krankheit gezeichneten Menschen prämiert wird, den Preis nicht entgegennimmt, ohne an jene zu erinnern, die wirklich darunter leiden. „Dieser Oscar gehört allen ALS-Patienten weltweit“, rief darum Eddie Redmayne (Bester Hauptdarsteller für seine Rolle als Stephen Hawking in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“). „Leute mit Alzheimer verdienen es, gesehen zu werden“, erklärte Julianne Moore. Sie spielt in „Still Alice“ eine Frau, die verzweifelt gegen die Veränderungen ankämpft, die mit fortschreitendem Alzheimer einhergehen.

Das ist würdig. Mutig wäre es gewesen, ein wenig Selbstreflexion zu wagen: Im Vorfeld sind die Wogen hochgegangen, weil kein einziger schwarzer Schauspieler nominiert war, und das, obwohl einer der Topfilme von Martin Luther King handelt. An dieses Ungleichgewicht erinnerte nur kurz zu Beginn Moderator Neil Patrick Harris: „Heute ehren wir Hollywoods Weißeste. Äh, Hellste“, meinte er. Sonst war man sich offenbar einig, das Thema nicht weiter anzusprechen.

Man feierte nicht nur sich selbst, was ja der Sinn der Gala ist, sondern auch die eigene gesellschaftspolitische Offenheit. Das ist gut gemeint, kommt hoffentlich beim einen oder anderen an. Ein schaler Geschmack bleibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2015)

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