Oscar-Verleihung: Wer wird's, wer sollt's werden, wer hätt's verdient

Damien Chazelle, Emma Stone und Ryan Gosling
Damien Chazelle, Emma Stone und Ryan Gosling(c) APA/AFP (FREDERIC J. BROWN)
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In der Nacht auf Montag werden zum 89. Mal die Oscars vergeben. Wegen Trump wird es wohl politischer zugehen als sonst. Aber auch wegen des schwelenden Vorwurfs, dass vor allem weiße Stars gewinnen. Ob zu Recht oder Unrecht, lesen Sie hier.

Dass die heurige Oscar-Verleihung Plattform für politische Empörung wird, steht außer Frage. Doch nicht nur die Gewinnerreden könnten für Kontroversen sorgen. Auch die Preisvergabe garantiert Glatteis: Gibt es, wie erwartet, einen „Sweep“ – also Goldregen – für Damien Chazelles Musical-Traumfabrikat „La La Land“, und das schwarze Indiedrama „Moonlight“ geht ohne Film- und Regietrophäe heim, dürfte Kritik über die Weißwaschung des Events nicht ausbleiben. Österreich kann heuer aber halbwegs ruhig schlafen, es ist nur indirekt vertreten: mit Peter Simonischek in „Toni Erdmann“, dem deutschen Beitrag zur Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“.

Bester Film

Nominiert sind das Musical „La La Land“, die Coming-of-Age-Story „Moonlight“, das Drama „Manchester by the Sea“, der Scifi-Film „Arrival“, der Krisenwestern „Hell or High Water“, die Theateradaption „Fences“, die Emanzipationsgeschichte „Hidden Figures“, das Biopic „Lion“ und Mel Gibsons „Hacksaw Ridge“.

Wird gewinnen. Alle Zeichen stehen auf den Sieg der nostalgisch-melancholischen Musical-Modernisierung „La La Land“. Mit „altmodischer“ Kinomagie tanzte es sich in die Herzen von Kritik und Publikum, und es gibt nichts, was Hollywood mehr liebt als Selbstbespiegelung. Der späte Backlash wird seine Chancen kaum schmälern.

Sollte gewinnen. „Hell or High Water“ ist ein toller Wirtschaftskrisen-Thriller mit Westernanklängen: schnörkelfrei, unprätentiös, spannend. Die Wahrscheinlichkeit, dass er gewinnt, tendiert also gegen null. Schade, auch, weil er den Zeitgeist spiegelt – aber im Grunde grenzt schon seine Nominierung an ein kleines Wunder.

Übergangen. Mit seinem in Japan spielenden Missionarsdrama „Silence“ verwirklichte Martin Scorsese ein lang gehegtes Herzensprojekt und lieferte einen der stärksten Glaubenskrisenfilme der jüngeren Kinogeschichte. Doch ohne Gangster, Kassenerfolg oder Leonardo DiCaprio schenkt die Academy dem Regisseur kaum Beachtung.

Bester Regisseur

Im Rennen sind Damien Chazelle für „La La Land“, Barry Jenkins für „Moonlight“, Kenneth Lonergan für „Manchester by the Sea“, Denis Villeneuve für „Arrival“ und Mel Gibson für „Hacksaw Ridge“.

Wird gewinnen. Die effekthascherische Plansequenz-Virtuosität von „La La Land“ geht ganz nach dem Geschmack des Oscar-Komitees – die letzten beiden Regiestatuetten holten sich Parforceritte der Technokraten Alejandro G. Iñárritu und Alfonso Cuarón. Der ambitionierte Jungspund Damien Chazelle würde sich hier gut einreihen, zumal er für seine Vision kämpfen musste – er ist Underdog und Favorit zugleich. Nur Barry Jenkins könnte ihm gefährlich werden.

Sollte gewinnen. Auch „Moonlight“ ist nicht frei von formalen Posen, aber am stärksten ist der Film, wenn er sich zurücknimmt. Vor allem die intimen Dialogszenen seines Zweitlings inszeniert Barry Jenkins mit Feingefühl. Ein Regiepreis für das Indiedrama könnte identitätspolitische Kritiker des „La La Land“-Hypes milde stimmen – doch meist landen die Haupt-Oscars im selben Korb.

Übergangen. Jeff Nichols hat heuer gleich zwei oscartaugliche Arbeiten vorgestellt: den düsteren Spielberg-Verschnitt „Midnight Special“ und das Rassismusdrama „Loving“. Gerade Letzteres hätte bestens gepasst zur politischen Agenda der diesjährigen Verleihung, nominiert wurde aber nur Ruth Negga als beste Hauptdarstellerin – wahrscheinlich, weil Nichols' leisetreterischer Zugang den üblichen Botschaftskino-Ansprüchen der Academy (Stichwort: „Hidden Figures“) nicht gerecht wird.

Hauptdarsteller

Heuer haben sich Casey Affleck in „Manchester by the Sea“, Denzel Washington in „Fences“, Ryan Gosling in „La La Land“, Andrew Garfield in „Hacksaw Ridge“ und Viggo Mortensen in „Captain Fantastic“ an die Weltspitze gespielt. Die Altersspanne dieser Kategorie beträgt in Folge stolze 29 Jahre.

Wird gewinnen. Lange stand er im Schatten seines berühmten Bruders Ben, mit seiner subtil-eindringlichen Darstellung eines depressiven Hausmeisters im Trauerdrama „Manchester by the Sea“ spielte sich Casey Affleck endgültig in die Oberliga der Traumfabrik – gerade das Understatement seiner Performance überzeugt.

Sollte gewinnen. Die Auszeichnung Afflecks wäre völlig verdient, aber jüngst wurden schwere Vorwürfe sexueller Belästigung gegen den Schauspieler laut. Dass sich Denzel Washington bei den Screen Actors Guild Awards gegen ihn durchsetzen konnte, zeugt von einer Distanzierung der Branche. Kompromisslösung? Viggo Mortensen.

Übergangen. In M. Night Shyamalans Comeback-Psychothriller „Split“ brilliert James McAvoy als Mann mit 23 Persönlichkeiten. O. k., streng genommen lernt man nur vier davon kennen – aber die Hingabe, mit der McAvoy jeder von ihnen einen unverkennbaren Charakter verleiht, beeindruckt. Bitter, dass knallige Genrestücke nach wie vor auf der schwarzen Liste der Academy stehen.

Hauptdarstellerin

Neben Fixstarterin Meryl Streep („Florence Foster Jenkins“) rittern dieses Jahr Emma Stone („La La Land“), Natalie Portman („Jackie“), Ruth Negga („Loving“) und etwas überraschend auch Isabelle Huppert („Elle“), die unverwüstliche Grande Dame des europäischen Arthouse-Kinos, um einen goldenen Schauspielpreis.

Wird gewinnen. Die Oscar-Verleihung versteht sich nicht zuletzt als Sternen-Geburtshelfer, und Emma Stone braucht nur noch einen kleinen Kick, um die Stratosphäre zu durchbrechen. Ihre inbrünstige Gesangsekstase beim Abschlusssong von „La La Land“ ist dermaßen (laut-)stark, dass der Triumph sicher scheint – sofern ihr nicht Natalie Portmans manierierte Jackie-Kennedy-Gedenkperformance ein Schnippchen schlägt.

Sollte gewinnen. Man fragt sich, wie sich Isabelle Huppert in diese Kategorie verirren konnte: Ihr reduzierter, unterkühlter Stil widerspricht dem typischen Frauenbild Hollywoods in jeder Hinsicht, und ihre Figur in „Elle“ ist psychologisch undurchdringlich. Aber die Frau ist eine Legende – und Legenden gehören gewürdigt.

Übergangen. Amy Adams wartet schon Ewigkeiten auf eine Schauspielprämie. Heuer hätten sich gleich zwei ihrer Leistungen für die Ehrung angedient: der Wissenschaftlerinnen-Part in „Arrival“ und die Rolle der Kunsthändlerin in „Nocturnal Animals“. Rück zur Seite, Meryl!

Nebendarsteller

Nominiert sind Mahershala Ali für „Moonlight“, Jeff Bridges als Cowboy-Cop in „Hell or High Water“, der 20-jährige Lucas Hedges für „Manchester by the Sea“, Dev Patel für seine Rückkehr nach Indien in „Lion“ und der geniale Charakterdarsteller Michael Shannon für „Nocturnal Animals“.

Wird gewinnen. In „Moonlight“ gibt Mahershala Ali den sensibelsten Drogendealer der Welt – schafft es aber, das „Rauhe Schale, weicher Kern“-Klischee mit nuanciertem Spiel zu umschiffen. Bei den Screen Actors Guild Awards exponierte er aus Protest gegen Trump seine muslimische Religionszugehörigkeit; sein Sieg wäre ein Statement.

Sollte gewinnen. Für preisträchtige Hauptrollen ist Michael Shannon seit jeher zu kantig; dabei steigert er den Unterhaltungswert jedes Films. Dass sein Glanzauftritt in Werner Herzogs „Salt & Fire“ nicht bis zur Academy durchgedrungen ist, verwundert nicht – aber als Sheriff in „Nocturnal Animals“ macht er auch einiges her.

Übergangen. Shannon schnappte einem seiner Ko-Stars in „Nocturnal Animals“ die Nominierung weg – der bislang unauffällige Schönling Aaron Taylor-Johnson stellt hier seine Wandlungsfähigkeit unter Beweis, als sadistischer Hinterwäldler mit Horrorcharisma.

Nebendarstellerin

Zu den diesjährigen Nominierten zählen Viola Davis in „Fences“, Naomie Harris in „Moonlight“, Nicole Kidman in „Lion“, Octavia Spencer in „Lion“ und Michelle Williams in „Manchester by the Sea“. Neben der Doku-Sektion ist dies die zentrale Konterkategorie für den Twitterkampfschrei #OscarsSoWhite.

Wird gewinnen. Dass Viola Davis für ihre Verkörperung einer duldsamen Gattin in der Theaterverfilmung „Fences“ nicht als Hauptdarstellerin nominiert wurde, befremdet. Jedenfalls lässt ihre Rotz und Wasser heulende Wuchtperformance kaum Zweifel daran, wer als Sieger aussteigen wird – auch, weil die Veteranin schon lang übergangen wird.

Sollte gewinnen. Außerordentlich aufregend kann man die Oscar-Nebendarstellerinnenriege heuer nicht nennen, aber Michelle Williams harrt – genau wie Davis – zum wiederholten Male einer verdienten Trophäe, und ihr Auftritt als traumatisierte Mutter in „Manchester by the Sea“ bleibt trotz Kürze in guter Erinnerung und hätte einen Preis verdient.

Übergangen. Kelly Reichardts zärtlicher Episodenfilm „Certain Women“ schaffte es trotz Starbesetzung nicht auf den Academy-Radar. Darin glänzen Kristen Stewart, Michelle Williams – und „Blue Velvet“-Heldin Laura Dern als innerlich zerrissene Anwältin.

Animation

Die Anwärter für den Animationsfilmpreis stellen heuer die Studios Disney („Moana“, „Zootopia“) und Laika („Kubo and the Two Strings“), aber auch Frankreich ist mit „My Life as a Zucchini“ vertreten, und dank Michaël Dudok de Wits wortlosem Märchen „The Red Turtle“ sogar eine belgisch-japanische Koproduktion.

Wird gewinnen. Die vergnügliche Fuchs-und-Hase-Toleranzparabel „Zootopia“ passt so gut zur zeitgeistigen Diversitäts-Message der Oscars, dass seine Niederlage unwahrscheinlich scheint – da sind sich auch die Buchmacher einig. Spekuliert werden darf allerdings, ob sich Disney mit dem Insel-Musical „Moana“ selbst ausbootet.

Sollte gewinnen. Man könnte sagen, dass sich das Animationsstudio Ghibli mit „The Red Turtle“ heimlich ins Rennen geschleust hat: Schließlich handelt es sich um den Film eines europäischen Zeichentrickkünstlers, Japan produzierte nur. Aber die Mär über eine Zauberschildkröte betört gerade durch ihre Ghibli-typische Schlichtheit.

Übergangen. Makoto Shinkais Körpertauschromanze „Your Name“ brach in Japan sämtliche Anime-Kassenrekorde. Manche sprechen schon vom „neuen Miyazaki“, doch die Kraft des Films liegt in seiner stilistischen Eigenständigkeit. Die Academy muss noch aufholen.

Bester fremdsprachiger Film

Untertitel? Lieber nicht. Aber wenn's denn sein muss, nominiert die Academy fünf Filme: „The Salesman“ von Asghar Farhadi (Iran), „Toni Erdmann“ von Maren Ade (Deutschland), „Land of Mine“ von Martin Zandvliet (Dänemark), „A Man Called Ove“ von Hannes Holm (Schweden) und „Tanna“ aus Australien.

Wird gewinnen. Asghar Farhadis „The Salesman“ gehört mit seiner Kreuzung des berühmten Arthur-Miller-Stücks und einer sozialkritischen Moralpredigt nicht zu den besten Arbeiten des iranischen Regisseurs – doch seine Ankündigung, der Verleihung aus Protest gegen Trumps Einreiseverbot fernzubleiben, macht sie zum Topkandidaten.

Sollte gewinnen. Die famose deutsch-österreichische Vater-Tochter-Komödie „Toni Erdmann“ mit Peter Simonischek sorgt für Furore. Aber ob das Oscar-Komitee auf ihren Humor anspringt, bleibt abzuwarten. Vielleicht spendet ja die rezente Meldung über ein mögliches Remake mit Jack Nicholson Aufwind.

Übergangen. Konsensfähig war Paul Verhoeven nie. Aber sein großartiges Comeback „Elle“ überzeugte selbst langjährige Kritiker. Zumindest in Europa – den USA ist der irrtümlich als „Vergewaltigungskomödie“ abgestempelte Film nach wie vor zu kontrovers. Immerhin eine Schauspielnominierung für Hauptdarstellerin Isabelle Huppert vergönnte man ihm.

Apropos

Meryl Streep, die schon bei den Golden Globes eine Anti-Trump-Rede gehalten hat, ist auch bei den Oscars als Laudatorin vorgesehen.
Asghar Farhadi, für den Auslandsfilm nominierter iranischer Regisseur, bleibt aus Protest gegen Trumps Einreisebann fern. Gewinnt er, nehmen zwei Stellvertreter den Oscar entgegen.
Jodie Foster und Michael J. Fox nahmen am Freitag an einer Protestkundgebung für United Voices in Beverly Hills teil. Die Künstleragentur UTA hat ihre Oscar-Party abgesagt und das Geld in diesen Protest-Event gesteckt, bei dem Pressefreiheit und Rechte für Minderheiten gefordert wurden.

Der ORF überträgt die Oscar-Gala live ab 2.30 Uhr.

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