Oscars: Hautnah an den "Filmgöttern"

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Oscars Hautnah Filmgoettern(c) AP (Anonymous)
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Aus allen Ecken der USA und aus aller Welt strömen Touristen nach Los Angeles, um bei der Oscar-Gala den Glanz Hollywoods zu erleben.

Ihre Robe für den großen Abend hat Lesly Hamer nebenan im Renaissance-Hotel gelassen. Salopp schlendert sie über den Plastikbelag, der den roten Teppich überdeckt. Vor einer der Goldstatuetten, die noch in einer Plastikhülle stecken, wirft sie sich schmunzelnd in Pose. Für wenige Augenblicke, für die Zeitspanne von ein paar Schnappschüssen, darf sich die Touristin aus Williamsburg in Virginia vor dem Kodak Theatre in Los Angeles wie eine Hollywood-Diva fühlen, während drinnen die richtigen Stars für ihren Auftritt proben.

Wo Meryl Streep, Viola Davis, Glenn Close, Rooney Mara und Michelle Williams am Sonntagabend im Blitzlichtgewitter und gleißendem Scheinwerferlicht, beäugt von Dutzenden Millionen TV-Zusehern, über den „Walk of Fame“, über die Sterne des Baseballteams der LA Dodgers und der Dessous-Models der Victoria's Secret Angels, zur Oscar-Verleihung schreiten werden, schnuppert Lesly am Vortag Starluft und den Duft von Glamour. Auch für sie ist dieser Sonntag ein großer Tag – ihr 50. Geburtstag. Die Reise von der Ost- an die Westküste ließ sich leichter erfüllen als ihr zweiter Wunsch: „Ich will 15 Kilo abspecken.“ Lesley befindet sich in bester Gesellschaft: Auch die 17-fach nominierte Streep empfindet sich als „zu alt, dick und fremd“, wie sie jüngst bekundete.

Für die Oscars hat Lesly klare Favoriten, Außenseiter allesamt: „The Descendants“ als bester Film, Glenn Close und Brad Pitt als beste Hauptdarsteller. „Pitt ist lange überfällig. Er hätte sich den Oscar schon für ,Benjamin Button‘ verdient.“ Ob sie ihre Idole tatsächlich auch zu Gesicht bekommen wird, steht in den Sternen. Eine kleine Heerschar an Sicherheitskräften, dirigiert von Herren mit dunklen Anzügen, Sonnenbrillen und einem Knopf im Ohr, schirmt die Stars ab und sorgt dafür, dass alles nach Drehbuch läuft. Trotz eindringlicher Warnung sinnt Sacha Baron Cohen, der mit „Borat“ eine Kultfigur schuf, indes darauf, als General Aladeen in weißer Fantasieuniform à la Gaddafi auf dem Laufsteg am Hollywood Boulevard zu paradieren – eine Publicity-Aktion für die Premiere von „The Dictator“ im Frühjahr.


Französische Zungenbrecher. Nur eine auserlesene Schar von Fans kam in die Gunst von Gratistickets für die Tribüne am roten Teppich, und die Aficionados in Shorts und T-Shirts werden sich ihre Kehle heiser schreien nach George und Angelina, nach Tom und Cameron. Im Gewühl sind sie mit ihren Lieblingen per Du. Heuer sind freilich auch die französischen „Zungenbrecher“ aus „The Artist“ en vogue – und Huggie, der Terrier und heimliche Star eines Films, der als Hommage an die Stummfilmära die Krisenzeiten vergessen lässt, die längst auch die Filmbranche in Kalifornien erfasst haben.

Die Drehbuchautorin Hilary de Vries beschrieb neulich, wie viele ihrer Bekannten die Fassade eines strahlenden Hollywood-Daseins aufrechtzuerhalten versuchen, obwohl sie unter finanziellen Nöten leiden. Prägnantestes Symbol für die wirtschaftliche Misere ist die Insolvenz der Weltmarke Kodak. Jahrelang lieferte das Auditorium des Kodak Theatre die Kulisse für die Oscar-Verleihung. Der Bankrott zwang die legendäre Fotofirma aus Rochester in New York, deren Gründer George Eastman auch am „Walk of Fame“ verewigt ist, zum Rückzug als Sponsor. Der Kodak-Schriftzug an der sandsteinfarbenen Fassade blieb vorläufig erhalten, obwohl das Theater im Bauch einer Shopping Mall nun den Namen „Hollywood & Highland“ trägt. An der Stirnseite prangt überlebensgroß in Gold und Schwarz das Oscar-Männchen mit dem Schwert.

Alles hier ist Bühne: Der Hollywood Boulevard, einst Herzstück der Filmwelt von „Tinseltown“, ist zwischen der Highland Avenue und dem Orange Drive für die Starparade gesperrt. Auf den Dächern sind Kameras postiert, die die makellos geschminkten Gesichter, das gestylte Outfit der Filmstars in Nahaufnahme einfangen. Selbst die United Methodist Church, an deren Kirchturm die rote Aids-Schleife affichiert ist, wirbt in Anspielung auf den James-Dean-Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ („Rebel Without a Cause“) für eine vorösterliche Aufführungsserie: „Jesus, Rebel With a Cause.“ In der Ferne liegen die Wolkenkratzer von Downtown Los Angeles in milchigem Dunstschleier.

Der Hollywood Boulevard ist zu einer billigen Touristenmeile mit einer Vielzahl an Souvenirshops verkommen, an Ecken und Eingängen kauern Obdachlose. „Wir kaufen Gold“, kündet die gelbe Werbetafel eines Pfandbüros, die ein Hobby-Rapper schwingt. Kostümierte Superhelden wie Spiderman und Zorro geben als Fotoobjekte für ein paar Dollar die Staffage für Urlauber aus New York, Texas und Japan ab. „Miau, Miau“, schnurrt Catwoman in einer Montur aus Lack und Leder.

Einmal im Jahr erstrahlt der Ort jedoch in Glanz und Gloria, die Kulissenschieber und Kameracrews der Traumfabrik blenden die Realität gekonnt weg. Seit Wochen sind die Oscars in Los Angeles „Talk of the Town“, Objekt von Titelgeschichten, Interviews und Fotostrecken in Magazinen wie „Vanity Fair“ und Gegenstand beliebter Wetten. Genährt von einer Serie aufeinanderfolgender Preisverleihungen streben sie dem Höhepunkt zu – ähnlich wie die TV-Debatten des republikanischen Präsidentschaftswahlkampfs, nur unterhaltsamer als die politische „Freak-Show“, wie Spötter behaupten.


Missliche Pannen. Freilich verlief auch die Suche nach einem neuen Moderator nicht ohne missliche Pannen. Nachdem das Experiment mit dem Duo Anne Hathaway und James Franco misslang, sagte Eddie Murphy nach einer Zusage wieder ab. Der bewährte Zeremonienmeister Billy Crystal, ein „Middle-of-the-Road“-Komiker, sprang ein. Die Truppe von Cirque du Soleil soll Zauber und Dynamik versprühen und die Einschaltquoten wieder nach oben treiben. Im Vorfeld stieß die Zusammensetzung der Academy auf herbe Kritik. Wie die „Los Angeles Times“ herausfand, ist die Jury dominiert von weißen Männern über 60.

Um den Stars hautnah zu sein, haben sich die Hamers im Renaissance-Hotel einquartiert, wo alljährlich der „Gouverneur's Ball“ über die Bühne geht. Beim offiziellen Empfang nach der Oscar-Gala, bei dem der österreichische Starkoch Wolfgang Puck die hungrigen Mäuler stopft, gibt sich das Who's who der US-Filmwelt ein Stelldichein – eher ein Pflichttermin für die Gewinner. Unter den Partys, zu denen die Celebrities schwirren, gilt die von „Vanity Fair“ im Sunset Tower Hotel als die begehrteste und illustreste. Unternehmungslustig feixt James Hamer: „Wir werden die Partys crashen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2012)

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