Oscars: Stummer, französischer Abend in Hollywood

(c) Reuters (MIKE BLAKE)
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Die 84. Oscar-Gala stand im Zeichen der Nostalgie. Der Stummfilm "The Artist" und Scorseses "Hugo Cabret" würdigen die Filmgeschichte. Meryl Streep münzt ihre 17. Nominierung in den dritten Oscar um.

Zu Beginn sah es nach einem Abend für Martin Scorsese aus. Bei der 84. Oscar-Gala schien das Märchen "Hugo Cabret" einen Oscar nach dem anderen abzuräumen. Kein Wunder, wurden anfangs doch vor allem die weniger glamourösen technischen Oscars vergeben, ein Heimspiel für den visuell ansprechenden 3D-Kinderfilm. Nach dem anfänglichen Preisreigen wurde bald klar, dass ein anderer Film den Triumphzug stoppen könnte: Der französische Quasi-Stummfilm "The Artist" von Regisseur Michel Hazanavicius. Fünf Oscars holte die Hommage an die frühe Kinoära, darunter in der wichtigsten Kategorie bester Film, sowie beste Regie und bester Hauptdarsteller. Scorseses Werk musste sich hingegen mit Trophäen in Kategorien wie beste Kamera und bester Tonschnitt zufrieden geben.

Komplett leer ausgegangen sind Steven Spielbergs Pferde-Kriegsfilm "Gefährten" und das Baseballdrama "Moneyball" mit Brad Pitt - sie waren mit jeweils sechs Nominierungen ins Rennen gegangen. Nicht viel besser erging es "The Descendants" mit George Clooney und David Finchers "Verblendung" - fünf Nominierungen ließen sich jeweils nur in einen Oscar umwandeln. Die Glanzpunkte des Abends, durch den ein routinierter und erst allmählich wach werdender Billy Crystal führte, setzten jedoch zwei Hollywood-Urgesteine: Meryl Streep wurde als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet, Christopher Plummer als bester Nebendarsteller. Ihre Dankesreden berührten, sie ernteten Standing Ovations.

"The Artist": Gesten statt 3-D-Experimente

Der Regie-Oscar für den französischen Filmemacher Hazanavicius überraschte dann doch einige: Er war bisher auf leichte Agenten-Parodien rund um Spion "OSS 117" spezialisiert und damit vor allem in seinem Heimatland erfolgreich. Nun ist ihm ausgerechnet mit einem Stummfilm - und das noch dazu in schwarz-weiß - der Sprung über den großen Teich gelungen, und der Sieg gegen Regiegroßmeister wie Martin Scorsese, Terrence Malick und Woody Allen. Oder wohl gerade deshalb: Lästige Untertitel entfallen ohne Dialoge.

Mit "The Artist" reflektiert er das frühe Kino an sich wie "Die Presse" schrieb: "Es ist eine alte Geschichte, doch immer wieder neu. Wer braucht Experimente in 3-D und digitale Soundeffekte, wenn doch die richtige Beleuchtung genügt, um ein Gesicht oder einen Blick unvergesslich zu machen, wenn eine Geste, ein klug choreografierter Tanz, und mag er auch von Altmeistern gestohlen sein, mehr sagt als bloßes modisches Geplapper?"

Stummer Franzose überflügelt Clooney

"The Artist" räumte aber nicht nur die Preise als bester Film und für die beste Regie ab. Der 39-jährige Jean Dujardin wurde als erster Franzose für seine Darstellung des strauchelnden Stummfilmstars George Valentin als bester Hauptdarsteller geehrt. Ohne Worte konnte er damit dem lange favorisierten George Clooney (nominiert für "The Descendants") den sicher geltenden Preis noch entreißen. Und damit sollte ausgerechnet Clooney recht behalten. "Es fühlt sich nach einer sehr französischen Nacht an", hatte er bereits vor der Verleihung am roten Teppich gesagt.

Dujardin war in Frankreich bislang vorwiegend mit komödiantischen Rollen erfolgreich. So spielte er bereits in den beiden OSS-Parodien von Regisseur Hazanavicius sowie zwei Lucky Luke-Filmen mit. "Ich habe seit Marcello Mastroianni oder Sophia Loren niemanden getroffen, der international eine derartige Anziehung ausstrahlt", schwärmt Erfolgsproduzent Harvey Weinstein. Dujardin hat jedoch keine Ambitionen, im Filmolymp Hollywood Fuß zu fassen. "Ich bin glücklich mit meiner Arbeit und mit meinem Leben in Frankreich", erklärte Dujardin vor der Oscar-Gala.

Eine Feierstunde der Filmgeschichte

Martin Scorseses Kindermärchen "Hugo Cabret" ging angesichts des Erfolgs des französischen Films unter. Doch die fünf Oscars für den 3D-Film verdeutlichen, dass die Oscars 2012 ganz im Zeichen einer Würdigung der Filmgeschichte standen. "Ich danke Billy Wilder, Billy Wilder, Billy Wilder", sagte etwa Regisseur Hazanavicius, der nach seinem Regie-Oscar bei der Prämierung zum "Besten Film" ein zweites Mal vor das Mikrofon trat. Mit "The Help" und "Gefährten" waren zudem zwei weitere Filme mehrfach nominiert, die in der Vergangenheit spielen.

Auch die Oscar-Gala selbst reflektierte immer wieder aus historischer Perspektive die Welt des Films. In Einspielungen erzählten Stars von Edward Norton über Hilary Swank, Tom Hanks oder Philip Seymour Hoffman von ihren ersten Erinnerungen an das Kino und ihre dabei "beflügelte Fantasie", so etwa Tom Cruise. Nur Billy Crystal verhinderte den kompletten Nostalgie-Kitsch. "Ich hatte niemals solche Gefühle", scherzte er mit todernster Miene.

Oscar-Ausnahmeerscheinung Meryl Streep

Es war auch der Abend der Meryl Streep. Die 17. Oscar-Nominierung brachte ihr den dritten Oscar. Sie wusste mit ihrem Margaret-Thatcher-Porträt "Die Eiserne Lady" zu überzeugen. Keine wurde so oft nominiert wie sie. Ihr letzter Sieg lag allerdings bereits fast 30 Jahre zurück. 1983 gewann sie als beste Hauptdarstellerin für "Sophie's Entscheidung". Bei der Entgegennahme ihres dritten Oscars kämpfte die Schauspiel-Veteranin mit den Tränen, zeigte sich aber auch humorvoll. So sei ihre Liste an Danksagungen lang - "weil ich weiß, dass ich nie wieder hier oben stehen werde". Und: Sie könne halb Amerika aufstöhnen hören: "Come on, why her - again".

Meryl Streep

1979 wurde Meryl Streep als beste Nebendarstellerin an der Seite von Dustin Hoffman im Scheidungsdrama "Kramer gegen Kramer" ausgezeichnet. Die 1949 in New Jersey geborene Schauspielerin feierte Ihren internationalen Durchbruch Ende der 1970er Jahre mit dem TV-Mehrteiler "Holocaust". Ihre erste Oscar-Nominierung folgte mit "Die durch die Hölle gehen" (1978). Zu ihren bekanntesten Filmen zählen Sidney Pollacks Epos "Jenseits von Afrika" (1985) oder "Die Brücken am Fluss" (1995) von Regisseur Clint Eastwood. In "Der Teufel trägt Prada" spielte sie 2006 die bösartige Chefredakteurin eines großen Modemagazins, was ihr ebenfalls eine Nominierung einbracht. Zuletzt war sie mit "Julie & Julia" vor zwei Jahren unter den Anwärterinnen zu finden. Damals gewann Sandra Bullock den Oscar für "Blind Side - die große Chance".

Christopher Plummer ältester Oscar-Preisträger

Schauspielveteran Christopher Plummer stellte einen Rekord auf: Er gewann den Oscar als bester Nebendarsteller für seine Rolle eines sich im hohen Alter als homosexuell outenden Vaters in Mike Mill's "Beginners". Der 82-Jährige ist damit der älteste Preisträger in der Oscar-Geschichte. "Du bist nur zwei Jahre älter als ich, Darling, wo warst du mein ganzes Leben lang?", fragte Plummer gut gelaunt mit Blick auf seine goldene Statuette.

Seinen Co-Darsteller Ewan McGregor bezeichnete er als "herausragenden Künstler", "mit dem ich sehr gerne meinen Oscar teilen würde, wenn ich ein wenig Anstand hätte - aber den habe ich nicht". Am Ende seiner Rede dankte er Ehefrau Elaine: Dieser gebühre der Friedensnobelpreis - "dafür, dass sie mich jeden Tag meines Lebens rettet".

"Es tut mir leid, ich zucke aus"

Nur einmal flossen richtig die Tränen. Als beste Nebendarstellerin wurde Octavia Spencer für ihre Rolle in dem "Rassismus-Drama "The Help" ausgezeichnet. Sie war sichtlich überwältigt. "Bitte beendet das, es tut mir leid, ich zucke aus", sagte Spencer.

Als bester fremdsprachiger Film wurde das iranische Werk "Nader und Simin - eine Trennung" von Regisseur Asghar Farhadi geehrt. Die iranische Führung hatte die Dreharbeiten stoppen wollen, weil der Regisseur seine Sympathie für regierungskritische iranische Kollegen geäußert hatte. Nach einer Entschuldigung Farhadis genehmigten sie jedoch die Fertigstellung des Films und würdigten fortan dessen weltweite Erfolge.

Freuen darf sich auch "Fluch der Karibik"-Regisseur Gore Verbinski: "Rango", seine familienfreundliche Westernkomödie rund um ein Chamäleon im Westernhemd, wurde als bester animierter Spielfilm ausgezeichnet.

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