"Solaris" in Bregenz: In der adretten Irrenanstalt

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Die Bregenzer Festspiele zeigten David Glanerts Oper nach Stanislaw Lems Science-Fiction-Roman: Trotz guter Interpreten bleibt das Werk auf unberechenbarer Umlaufbahn – und letztlich etwas spannungsarm.

Alles eine Frage der Perspektive. Dass die ozeanähnliche Lebensform auf dem Planeten Solaris die Fähigkeit besitzt, die Gedankenwelt der Forscher auf einer Raumstation zu durchforsten und ihren mächtigsten, dunkelsten Erinnerungen materielle Gestalt zu verleihen: Treibt sie die Betroffenen, vielleicht als perfide Verteidigungsstrategie, unweigerlich in den Wahnsinn? Sind menschliche Unzulänglichkeit und evolutionäre Defizite dafür verantwortlich, dass es den Wissenschaftlern nicht gelingt, das Phänomen für ihre Zwecke zu nutzen? Oder ist es einfach die Konfrontation mit einer schlechthin überragenden Intelligenz, die notwendigerweise in Motiven und Auswirkungen unfassbar bleibt? Stanisław Lems Roman von 1961 behandelt eindringlich die Limitationen des Menschen in einer auch noch so fortgeschrittenen Zukunft.

„Publikumsfreundliche“ Tonschöpfung

Eine Frage der Perspektive bleibt freilich auch jene nach der Beurteilung der Oper „Solaris“ von Reinhard Palm (Libretto) und Detlev Glanert (Musik), die nun bei den Bregenzer Festspielen zu sehr freundlichem Applaus ihre Uraufführung erleben durfte. Glanert, 1960 in Hamburg geboren und Schüler von Hans Werner Henze, darf als einer der erfolgreichsten deutschen (nicht nur Musiktheater-)Komponisten seiner Generation gelten. Er ist einer der bewusst „publikumsfreundlichen“ Tonschöpfer, die den Hörern das unmittelbare Begreifen ermöglichen wollen – auch wenn das stellenweise die Verwendung des Abgegriffenen bedeuten mag, das im günstigsten Fall in neuem Zusammenhang aufgeht. Einen prononcierten Stilpasticcio vermeidet Glanert jedoch.

Stattdessen homogenisiert er ein wenig Minimalismus, etwas Pentatonik, romantischen Überschwang, Jazzanklänge, dramatische Attacken und vieles mehr, legt alles in teils schön ersonnenen Schichten übereinander, die immer wieder geschickt Position und Textur wechseln – und auf die mal arios, mal rezitativisch geführten Singstimmen brav Rücksicht nehmen. Hat der Planet Solaris seinen Orbit im Doppelsternsystem stabilisiert, so laviert die gleichnamige Oper auf unberechenbarer Umlaufbahn zwischen soundtrackartiger Illustration und autonom künstlerischer Überhöhung, vielleicht auch, da Palms Text im zweiten Teil zunehmend an Fokus verliert. Winden sich düster dräuende, lang gezogene Bassmelodien, spinnen im Mittelgrund die Streicher emphatische Netze und glitzert in den höchsten Registern Staccato-Erregung, zeigt das ein paar Mal Wirkung, an Höhepunkten wie dem turbulenten ersten Finale oder dem Selbstmordversuch von Harey, der Erscheinung der verstorbenen Frau der Hauptfigur Kris Kelvin. Aber immer wieder erscheint das schematisch, zu kalkuliert und lässt die nötige Spannung vermissen – zumal im überlangen Schlussmonolog Kelvins, dem Dietrich Henschel die übliche stimmliche und darstellerische Intensität verleiht und der zuletzt buchstäblich abhebt. Dass der Charakter dennoch etwas distanziert bleibt, liegt auch an der nur wackeren, konventionellen Regie von Moshe Leiser und Patrice Caurier.

Die Wiener Symphoniker spielen mit Verve

Zugegeben, um den Erinnerungen ihre surreale Bedeutung geben zu können, ist ein realistischer Rahmen nötig: Christian Fenouillats Bühnenbild liefert diesen inklusive Raumanzügen (Kostüme: Agostino Cavalca) und blinkenden Lichtern auf futuristischen Geräten. Das klinische Weiß der Interieurs jedoch, immer wieder konterkariert von irrlichternd bunten, beweglichen Projektionen (Video: Tommi Brem), die auf das Wirken das Solaris-Wesens verweisen, nähert sich nicht von ungefähr dem Ambiente einer adrett gepflegten Irrenanstalt – und verspielt so leider auch wieder etwas vom beabsichtigten Realismus, der doch mit Enge, Schmutz und Schatten einhergehen sollte: Klaustrophobie und die dunklen Winkel der Seele finden keine optische Entsprechung.

Dafür spielen nicht nur die Wiener Symphoniker unter dem Glanert-Experten Markus Stenz mit Verve, Geschmeidigkeit und Hingabe. Auch das gute Restensemble gibt an der Seite des unsichtbar bleibenden Prager Philharmonischen Chores als Solaris sein Bestes: Marie Arnet wirkt als Harey passend entrückt und leidend, Martin Koch stellt sich unerschrocken den tenoralen Höhenanforderungen des sensiblen Snaut, Martin Winkler bringt den härteren, positivistischen Sartorius auf den Punkt, auch in der Interaktion mit seinem kindlichen Quälgeist im Strampelanzug (Mirka Wagner). Bonita Hyman geistert als Venus von Willendorf herum, obwohl sich ihr „Schöpfer“ längst getötet hat.

„Die Zeit der grausamen Wunder ist noch nicht vorbei“, sind Kelvins letzte Worte. Diese Oper ist damit wohl nicht gemeint.

Auf einen Blick

Detlev Glanert (52) verfasste „Solaris“ als Auftragswerk für die Bregenzer Festspiele in Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin. Libretto: Reinhard Palm. Regie: Moshe Leiser & Patrice Caurier, Die Wiener Symphoniker spielen unter Kölns GMD Markus Stenz.

Weitere Termine im Festspielhaus Bregenz: 22. Juli (11.00 Uhr) und 25. Juli (19.30 Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2012)

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