"La donna del lago" als Klang-Theater

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donna lago KlangTheater(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Die Sommersaison im Theater an der Wien beschert Musikfreunden eine orchestral spannende Begegnung mit einem lange verkannten Meisterwerk Gioacchino Rossinis. Und man staunt: Belcanto kann ohne Stimmen beeindrucken!

Das ist natürlich eine Meisterleistung: Die Aufführung von Rossinis „La donna del lago“, oder, besser gesagt, jenes Stücks, das nach Regisseurs-Bearbeitung und musikalischer Einstudierung im Theater an der Wien davon übrig geblieben ist, verlässt man in der Überzeugung, einem musikalischen Meisterwerk begegnet zu sein.

Rossini – den „Tell“ einmal ausgenommen – gilt uns doch als idealer Opern-Komödiant. „Noch viele Barbiere“, soll sogar Beethoven dem Kollegen nach seinem Antrittsbesuch ins Stiegenhaus nachgerufen haben ...

Und nun „Die Frau vom See“ – eine melodramatische Handlung von verwirrenden Liebesgefühlen, kriegerischen Auseinandersetzungen und großmütigen königlichen Vergebungsritualen, frei nach Sir Walter Scott. Zu welchen dramatischen Ballungen türmt Rossini hier seine Crescendi, wie zukunftsweisend verdichtet er melodische Bögen zu expressiven Leidensbotschaften! Das grandios gesteigerte Quintett mit Chor wird Nachkommen nicht nur in Donizettis „Lucia“-Sextett finden, sondern noch in den Ensemblesätzen der großen Verdi-Dramen.

Orchester-Belcanto. Wiens RSO läuft unter der Führung des jungen Leo Hussain zur Hochform auf. Von den flüsternden Streicher-Akkorden bis zu prachtvollen Raumklängen mit dem Bühnenorchester und dem fabelhaften Arnold Schönberg Chor spannt sich eine bruchlose Farbpalette.

Kammermusikalische Höhepunkte bescheren die Bläserpassagen, in denen exquisite Horn- und vor allem Klarinettensoli den Begriff des Belcanto sinnfällig definieren. Die Solisten auf der Bühne können dem kaum entsprechen.

Ein Werk dieses Zuschnitts zu besetzen, ist heutzutage wohl ein Ding der Unmöglichkeit. Wo wären zwei Tenöre aufzutreiben, die jene geschmeidige Gesangstechnik beherrschen, wie sie hier verlangt wird?

Weder die gequälten Phrasierungsversuche Luciano Botelhos als König Jakob V. noch die ausschließlich auf (allerdings immense) Spitzentöne fokussierte, stoßweise Tonproduktion von dessen kriegerischem Widersacher, Gregory Kunde, erinnern entfernt an die einstige Kultur des „Schöngesangs“. Kundes gänzliches Versagen in den ariosen Passagen lässt ahnen, warum Rossini einst harsche Worte über Tenöre fand, die versuchten, zum Gaudium des Publikums das hohe C aus der Brust zu stemmen.

Primadonna mit Witz. Auch Maurizio Muraro trägt wenig zur Ehrenrettung der singenden Männerwelt bei: Sein Douglas klingt recht gebrechlich. Töchterchen Elena ist die junge Dame, um die sich hier alles dreht: Malena Ernman leiht ihr die Stimme, genügend agil und farbenreich, aber im oberen Register doch zu angestrengt, um als Primadonna wirklich brillieren zu können. Über manche der heikelsten Passagen schummelt sie sich mit Witz – das ist immerhin theatralisch verwertbar. Vokal beweist ausschließlich die Armenierin Verduhi Abrahamyan als Malcolm, wie Koloraturgewandtheit und elegante Linienführung, amalgamiert mit dem schierem Wohlklang eines ausgewogenen Mezzos, wahrhaft belcanteske Qualitäten ergeben können. In Rossinis Oper würde die Interpretin dieser Hosenrolle dafür belohnt: Sie erhielte dank königlicher Gnade die Hand der schönen Titelheldin.

Nichts da, befindet Christof Loy. Er inszeniert nicht, was der Komponist vertont hat, sondern erfindet das Stück – mit einigen, zugegeben köstlichen Nebenrollen (für Erik Arman und die auch gesanglich bemerkenswerte Béneédicte Tauran) – wieder einmal als Theater im Theater neu.

Diesmal ehelicht der König selbst die schöne Elena, statt in hehrer Herrscher-Grandezza zunächst den ungeliebten Rodrigo zu töten und dann seiner Liebe zu entsagen. Der arme Malcolm verschwindet durch eine Tapetentür aus dem Stück – zuvor fungiert er als Alter Ego der „Frau vom See“, die sich in diesem Beziehungsdickicht verirrt und daher wohl eine Persönlichkeitsspaltung mitmacht.

Von solchen freudianischen Spitzfindigkeiten hatte Rossini keine Ahnung, als er seine vielschichtig-tiefgründige Musik komponierte. Das RSO und der Chor tun so, als könnte man diese ohne adäquate Vokalsolisten in ihrer ganzen Größe zum Klingen bringen. Das gelingt immerhin so gut, dass der Hörer einen Abend lang gespannt Rossinis bewundernswertem kompositorischen Verlauf folgen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2012)

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