Intensiv: Das letzte Werk Zimmermanns in Salzburg

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Matthias Goerne, Ulrich Matthes und Peter Stein verhalfen in Salzburg Bernd Alois Zimmermanns Kantate zu expressivem Nachdruck. Schade, dass Christoph Eschenbach am Pult eine seltsam neutrale Haltung einnahm.

„Weh dem, der allein ist!“, lauten die finalen, verzweifelt zwischen voller Kraft und Flüstern wechselnden Worte, bevor das Blech den chromatisch-schmerzlichen Bach-Choral „Es ist genug“ zitiert (siehe Bergs Violinkonzert) und ein letztes Mal die drei Soloposaunen apokalyptisch dröhnen: Ende. Langes Schweigen – aus Ergriffenheit, Verunsicherung oder auch Ratlosigkeit?

Die nächste Opernpremiere der Salzburger Festspiele warf da ihre Schatten voraus: triste, düstere Schatten. Nächsten Montag gehen gleichfalls in der Felsenreitschule „Die Soldaten“ von Bernd Alois Zimmermann in Szene, eines der bedeutendsten Musiktheaterwerke des 20. Jahrhunderts sowie trotz enormer Komplexität und höchster Anforderungen lange Zeit als die einzige Oper gepriesen, die nach Bergs „Wozzeck“ Eingang ins Repertoire gefunden habe. Zu trauriger Berühmtheit hat es hingegen Zimmermanns Kantate „Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“ gebracht: Von zwei Sprechern vorgetragene, teils durcheinandergerufene Passagen aus dem pessimistischen Buch Kohelet (Ekklesiastes) und aus Dostojewskis „Großinquisitor“ werden mit einem expressiven Basssolo sowie von Kargheit bis zur großen Geste reichenden Orchesterklängen konfrontiert, wobei zwischen dem erwähnten Bach-Zitat und einem sanften Schlagzeug-Blues gleichsam alles möglich ist. Kaum vorstellbar, dass das Werk nicht als Schlusspunkt gedacht war: Am 10. August 1970, fünf Tage nach Vollendung der Partitur, ging der psychisch und physisch schwer leidende Komponist freiwillig in den Tod.

Peter Stein als Großinquisitor

Ob das Stück seine Wirkung nun seiner musikalisch-künstlerischen Faktur verdankt oder mehr der Aura des unwiderruflich Letzten, ließ sich nach diesem mit großem Jubel endenden Abend freilich nicht entscheiden. Beeindruckend und in der Ausführung gewissenhaft war er allemal, nur auf die für Sprecher und Dirigenten in einer Passage vorgesehene Meditationshaltung wurde verzichtet. Sonst aber erfüllte Matthias Goerne seine Lamenti und Klagelaute mit Hingabe, begann Ulrich Matthes in der geforderten priesterlichen Strenge und gab Peter Stein mit großer Suggestivkraft den Großinquisitor – die geforderten Luftsprünge und Boxhiebe inklusive. Schade aber, dass angesichts so intensiver Solisten Christoph Eschenbach am Pult des korrekten NDR-Sinfonieorchesters eine seltsam neutrale, eben bloß auf Korrektheit zielende Haltung einzunehmen schien: Das tat Zimmermanns Schwanengesang ebenso wenig gut wie Bergs Drei Orchesterstücken op. 6, die eingangs als penibel zusammengesetztes Puzzle ohne emotionales Dringlichkeit erklungen waren. wawe

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.08.2012)

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