Pariser Oper: Weltflucht mit Richard Strauss

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Philippe Jordan studierte zum Saisonbeginn Richard Strauss' apartes Spätwerk „Capriccio“ in der Pariser Oper musikalisch neu ein.

Philippe Jordan eröffnete die neue Saison im alten Pariser Opernhaus, dem Palais Garnier, mit einer musikalischen Neueinstudierung von Robert Carsens Inszenierung von „Capriccio“. Das Spätwerk von Richard Strauss, mitten im Zweiten Weltkrieg gedichtet und komponiert, zählt zu den heikelsten Versatzstücken des Opernrepertoires. Prächtige Musik. Aber: Wie konnten Strauss und sein dirigierender Librettisten-Kompagnon, Clemens Krauss, während der Grauen jener Zeit ein solches Stück artifizieller Weltflucht produzieren?

Diese Frage stellt sich wohl jedem, der sich mit dem Werk auseinandersetzt. Dankenswerterweise hat sich Carsen nicht, wie mancher Kollege, auf eine Demontage des irrealen Traums von der Unverletzlichkeit der hehren Kunst eingelassen, sondern beschränkt „Zeitkolorit“ auf den Auftritt eines SS-Offiziers, der bescheiden an der Seite der berühmten Schauspielerin auftaucht – und rasch wieder verschwindet.

Der Rest funktioniert als Theater im Theater – samt zauberhaft-ironischer Schlusspointe. Gelegenheit also, sich (ohne dazu mit vorgehaltener Regietheater-Pistole gezwungen zu werden) Gedanken zu machen, die über die im Text verhandelte Frage hinausgehen – ob nämlich in der Oper Text oder Musik die Vorrangstellung gebührt.

Vom „Strom der Töne“ getragen

Ein Ensemble aus sehr guten Sängern – von der Regie nicht sonderlich nach ihren spezifischen Möglichkeiten der Charakterisierungskunst befragt, sondern getreu der seinerzeitigen Produktion „gestellt“ – bietet den rechten Balanceakt zwischen jenem „Konversationston“, den Strauss hier beschwört, und dem doch immer wieder herrlich aufblühenden melodischen „Strom der Töne“, den die Gräfin, Michaela Kaune, sauber und mit glasklaren Höhen besingt.

Michaela Schuster ist eine herrisch-arrogante Clairon, wie sie im Libretto steht, Joseph Kaiser und Adrian Eröd geben den beiden Damen gegenüber elegant-höflich zurückhaltend die „verliebten Feinde“, Flamand und Olivier. Peter Rose ist ein sympathisch selbstverliebter Theatermacher La Roche, Bo Skovhus, noch eine Wiener „Leihgabe“, der hinreißend geckenhafte Poseur von einem Grafen – in der Maske eines Westentaschen-Mussolini.

Star des Abends ist das Pariser Opernorchester unter der Leitung seines Chefdirigenten, der vor allem auf deutlichste Herausarbeitung der vielen kleinen Details dieser Partitur setzt. Wort und Ton sind, scheint es, hier wirklich gleichbedeutend. Freilich: Das große Zwischenspiel, die „Mondscheinmusik“, rauscht dann herrlich auf. Und das Pariser Publikum hat keine Mühe, „Capriccio“, wie vom Komponisten vorgesehen, aber gegen die französische Aufführungstradition, diesmal ohne Pause zu genießen.

Philippe Jordan wird in der laufenden Saison unter anderem (im Frühjahr) auch einen kompletten Durchlauf von Wagners „Ring des Nibelungen“ dirigieren, den ersten, den Frankreichs Hauptstadt seit Menschengedenken erlebt! Um nicht nur dem deutschen Repertoire zu huldigen, gibt es im Dezember aber auch „Carmen“ . . .

„Capriccio“. 13., 16., 19., 22., 25. und 27. September. Info: www.operadeparis.fr

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.09.2012)

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