Bartoli und Leon: Reise zu Händels Großvater

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Cecilia Bartoli entdeckt gemeinsam mit Krimiautorin Donna Leon den mysteriösen Komponisten Agostino Steffani. »Die Presse am Sonntag« traf die gut gelaunte Sopranistin in München.

Wie kamen Sie auf Agostino Steffani?

Cecilia Bartoli: Ich hatte mich einige Jahre reichlich mit Barockmusik beschäftigt, da bekam ich Lust etwas zu machen, was nicht eindeutig einer Ära zugeordnet werden kann. Übergangsperioden finde ich sehr aufregend. Also forschte ich und kam auf Steffani, der mich gleich für sich einnahm, weil er so viele Kammerduette komponiert hat. Erst später forschte ich mithilfe eines Experten nach seinen Opern. Fündig wurden wir in London und in der Nationalbibliothek Wien. Wir bekamen Kopien der Noten auf Mikrofilm. Als ich mir das Material anschaute, glaubte ich zunächst an einen Irrtum. Ich glaubte, man hätte mir Händel-Material ausgehändigt, aber es war doch Steffani. Die Art, wie er mit den Harmonien spielt, weist ihn als eine Art Großvater Händels aus.

Gibt es bei ihm auch andere Einflüsse?

Ja, man kann sogar Monteverdi heraushören. Manche seiner Kompositionen sind total Renaissance, andere auf abstrakte Art spirituell. Wenn man ihm zuhört, merkt man, dass er, auch wenn er nicht von Gott spricht, auf geradezu mystische Weise mit dem Kosmos verbunden ist.

Sie posieren auf dem Cover als Steffani. Siegelring, strenger Blick, erhobenes Kruzifix. War er Verbreiter des katholischen Glaubens?

Darüber kann man nur spekulieren. Man muss sich schon fragen, warum Steffani den größten Teil seines Lebens im protestantischen Norddeutschland verbracht hat. Er war auf jeden Fall auch Diplomat. Was mich stutzig macht, ist, dass nach seinem Tod seine persönlichen Besitztümer an den Vatikan gingen. Manchmal denke ich, vielleicht musste Steffani aus politischen Gründen verschwinden. Er war ein Geheimnisträger, vielleicht wurde er jemandem gefährlich und man hat ihn ermordet. Was wir haben, ist seine Musik. Und die hat nach dreihundert Jahren wirklich ein wenig unserer Aufmerksamkeit verdient.

Wie haben Sie die Stücke ausgewählt?

Die Grundidee war, die Farbenpracht im Werk Steffanis zu präsentieren. Von den simplen, berührenden Melodien bis zu den typischen Barockarien, bei denen die Stimme mit der Trompete kämpfen muss. Und seine Ironie wollte ich unbedingt auch kommunizieren.

Wenn man sich die Texte ansieht, entdeckt man sanfte Liebeslyrik ebenso wie martialisches Kriegsgepolter und Todesfantasien. Kann das heute noch gefallen?

Die Liebe hält die Welt bekanntlich am Laufen. Und der Hass ist ein ebenso archaisches wie unausrottbares Gefühl. Der Mensch ist zwischen beiden hin- und hergerissen. Jede Generation muss den Umgang mit diesem Widerspruch für sich selbst neu lernen. Die Musik kann dabei sehr hilfreich sein.

Inwiefern?

Bei all diesen religiösen Konflikten geht es doch immer nur darum, welcher Gott der wichtigere ist. Bei Steffani hingegen erfährt man etwas über die Planeten und den Kosmos. Er suchte die höhere Perspektive, indem er mahnte, dass alles, auch das Ungeliebte, Teil des Universums ist.

Wie kam Donna Leon ins Bild?

Donna ist eine große Händel-Verehrerin. Egal, wo er gespielt wird, Donna Leon ist garantiert im Publikum. Sie würde für eine Händel-Aufführung auch nach Timbuktu reisen. Gespräche über Händel und Vivaldi waren der Anfang unserer Freundschaft. Als ich die Musik von Steffani so richtig entdeckt hatte, begriff ich, dass das die Wurzeln von Händel sind. Diese Erkenntnis wollte ich teilen. Nach einer gewissen Zeit konnte ich sie dafür begeistern, ein gemeinsames Projekt zu machen. Beide haben wir nun auf jeweils eigene Art Steffani Reverenz erwiesen. Für Donna war es wahrscheinlich eine gute Abwechslung von ihren Kommissar-Brunetti-Erzählungen.

Für dieses Projekt haben Sie die erste App der klassischen Musik entwickelt. Warum?

Die jungen Leute muss man locken. Da müssen wir uns neue Wege überlegen, damit die merken, dass klassische Musik eine freudvolle Angelegenheit ist und nicht bloß etwas für Intellektuelle oder älteres Publikum. Wir brauchen Mut und müssen auch einmal etwas versuchen. Die App ist so ein Versuch.

CD und Roman

„Mission“ heißt Cecilia Bartolis soeben erschienene CD mit Barockarien von Agostino Steffani (Decca, DDD, 2012). Sie wird auch in einer Deluxe-Edition mit Donna Leons neuem Roman „Himmlische Juwelen“(Diogenes) erhältlich sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2012)

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