"Philippe Jordan": Keine Angst vor Giganten

(c) Johannes Ifkovits
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Ab Herbst 2014 ist Philippe Jordan Chefdirigent der Wiener Symphoniker. Demnächst leitet er im Musikverein die „Missa Solemnis“. Ein Porträt.

Beethovens „Missa solemnis“, mit Anna Schwanewilms (Sopran), Elisabeth Kulman (Alt), Robert Dean Smith (Tenor) und Lars Woldt (Bass), im Oktober im Wiener Musikverein zu erleben, ist ein veritabler Gipfelsturm für alle Beteiligten, denn das Werk gilt als eines der haarigsten aus dem klassischen Repertoire. Doch bringt Jordan die besten Voraussetzungen mit. Berührungsängste mit dem „großen Repertoire“ hatte er nie. Im Gegenteil. Schon als junger Musiker widmete er sich angelegentlich den bedeutendsten Versatzstücken unseres musikalischen Erbes. In bester Erinnerung ist seine Zeit als Generalmusikdirektor der Grazer Oper. Der Schweizer Künstler ist der Sohn eines berühmten Dirigenten – Armin Jordan war in seiner Heimat so etwas wie der Nachfolger des großen Ernest Ansermet. Der Sohn, Jahrgang 1974, galt rasch als Geheimtipp. Er war noch nicht einmal 27, als er sein Amt in der steirischen Landeshauptstadt antrat. Und sogleich zum Liebling des Publikums wurde. Und der Fachpresse: Die Kritiker streuten dem immensen Talent Rosen.

Philippe Jordan arbeitete mit den Grazer Philharmonikern sogleich an den „Chefstücken“, anders als ein Großteil der Dirigenten der Vorgängergeneration zog er nicht mit Schostakowitsch-Symphonien durch die Lande, sondern dirigierte Mozart, Beethoven, Wagner und Richard Strauss. Im Konzert nicht die ersten beiden Beethoven-Symphonien, sondern gleich die Eroica und die Fünfte. Dem ist er treu geblieben. So hat er auch die Franzosen im Sturm erobert, als er nach Paris wechselte, um dort musikalischer Chef der Opéra national zu werden. Da gab es allerhand zu tun, denn nach dem Abgang von Gerard Mortier sollte das Publikum wieder daran gewöhnt werden, dass es in der Oper vor allem um musikalische Belange geht.

Das ist Jordan gelungen. Schon in der laufenden dritten seiner Spielzeiten kann er Wagners „Ring des Nibelungen“ vollständig aufführen. Das hat Paris, man glaubt es kaum, seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht mehr erlebt! Was Wunder, wenn die Bravorufe schon ertönen, wenn der immer noch junge Maestro ans Dirigentenpult tritt.

Wien, Bayreuth, Zürich. In Wien ist das nicht viel anders. Vom Grazer Geheimtipp zum Wiener Publikumsfavoriten ist es nicht weit, wie sich gezeigt hat. Und da es kein Zaudern für Jordan gibt, hat er gleich „oben“ angefangen. Einladungen von Staatsopern-Direktor Ioan Holender hat er angenommen, hat Repertoireaufführungen – etwa den „Rosenkavalier“ – dirigiert, aber auch Premieren wie Massenets „Werther“ mit Elina Garanca einstudiert. Zwischenzeitlich hat Jordan auch an der Zürcher Oper seine Aufbauarbeit fortgesetzt. Und bei den Bayreuther Festspielen sah man ihn heuer erstmals – ein Debüt, das gleich multimedial vermarktet wurde, denn auf dem Programm stand die letzte Reprise der aufwendigen „Parsifal“-Produktion Stefan Herheims, die live übertragen wurde und deren Mitschnitt demnächst auf DVD zu haben sein wird. Selbstverständlich hat Jordan den „grünen Hügel“ nicht – wie manch seiner Vorgänger – unvorbereitet betreten. Den „Parsifal“ hat er bereits in seiner Grazer Ära erarbeitet. Seit er in Paris verpflichtet ist, konzentriert sich Jordan hierzulande allerdings auf das Konzertpodium, und hier vor allem auf den Musikvereinssaal, denn er gehört zu jenen Künstlern, die Musikvereinsintendant Thomas Angyan besonders schätzt und fördert. Die Aufführung der „Missa solemnis“ kommt daher nicht von ungefähr. Dass Jordan zum Chefdirigenten von Wiens wichtigstem Konzertorchester designiert wurde, geht für den Intendanten des wichtigsten Wiener Konzertveranstalters wohl mit dem Auftrag einher, den neuen Mann mit den schwierigsten Aufgaben zu fordern.

Also die „Missa“, eines der Gipfelwerke abendländischer Kultur – mit solchen Epitheta muss man zwar vorsichtig sein, aber in diesem Fall scheint es, als hätte der Komponist selbst eine solche Zuordnung beabsichtigt. Beethoven zieht in seiner Partitur so etwas wie die Summe der europäischen geistlichen Musiziertradition. Von klassischem Ebenmaß, wie von Haydn und Mozart ererbt, ist in der Messe wenig zu verspüren. Eher scheint es an allen Enden zu haken, wenn man versucht, den gewaltigen Strukturen mit klassischen Formmustern beizukommen.

Weiheakt für die Menschheit.  Eher gilt es hineinzuhorchen in die speziellen Stimmungswelten, die Beethoven hier beschwört. Da kehren lang verschüttete Traditionen der alten Meister zurück, da wird zuletzt gar zukunftsweisend fast bühnentaugliche Dramatik bemüht, um den abschließenden Bitten um den „inneren und äußeren Frieden“ die rechte Dringlichkeit zu verleihen: Gefleht wird vor einer veritablen tönenden Kriegs-kulisse.

Doch am Ende soll es den Interpreten gelingen, das Publikum zu rühren. Keine katholische Messe wird da mehr gefeiert, eher ein musiktheatralischer Weiheakt für die Menschheit – dem großen Vorwurf der Neunten Symphonie und ihrer Proklamation der Brüderlichkeit verwandt. „Von Herzen möge es wieder zu Herzen gehen“, schreibt der Komponist über das „Kyrie“. Ein Auftrag. Für den Dirigenten ist dessen Erfüllung eine Herzensangelegenheit: Die Aufführungen finden wenige Tage vor seinem Geburtstag statt . . .

TIPP

Beethovens Missa Solemnis, mit Schwanewilms, Kulman, Dean Smith, Woldt, Musikverein, 11./12. 10. www.musikverein.at

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