Max Raabe: „Soll man weinen oder lachen?“

(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
  • Drucken

Max Raabe tritt am 4.10. nur mit seinem Pianisten im Musikverein auf. Mit der „Presse“ sprach er über Humor, Geld, Kitsch und Frivolität.

Die Presse: Ich erreiche Sie am Mobiltelefon Ihres Pianisten. Besitzen Sie als Sänger des Hits „Kein Schwein ruft mich an“ denn gar kein eigenes?

Max Raabe: Sie haben es erfasst. Aber da ich das von meinem Pianisten verwenden darf, kann von einer Verweigerung keine Rede sein.

Das erinnert ein wenig an jene reichen Araber, die, wenn sie zum Kamelrennen gehen, einen eigenen Angestellten haben, der das Geld für sie angreift...

Sehen Sie, das unterscheidet mich von arabischen Potentaten. Das ist das Einzige, was ich noch habe: Zugriff zu meinem Geld.

Was erwartet uns im Musikverein?

Das Programm „Übers Meer“: Lieder von Komponisten wie Walter Jurmann, Fritz Rotter und Werner Richard Heymann, die 1933 Deutschland verlassen mussten und dann quasi ihren Liedern, die oft schon erfolgreich in den USA waren, hinterhergereist sind. Daher der Titel. Es ist ein unterhaltsamer Abend mit vielen zarten Liedern.

Sie singen Ihr Repertoire auch in den USA. Wie kommt das an?

Die Amerikaner sagen: Das interessiert uns, wir wollen diesen Originalgesang, wir wollen das Exotische eines deutschen Orchesters und Sängers erleben. Was sie verblüfft, ist, dass es so etwas wie deutschen Humor gibt.

So klischeehaft ist das Deutschland-Bild immer noch?

Ja, damit muss man als Deutscher einfach leben. Aber wenn man am niedrigsten Punkt der Sympathieskala angekommen ist, hat man immer die Chance zu gewinnen.

Sie singen sehr viel jüdisches Repertoire, mögen aber den Terminus „jüdischer Humor“ nicht. Warum?

Weil man sich, wenn man so spricht, wieder einig ist, dass die Juden anders sind als der Rest der Landsleute. Nun gibt es tatsächlich einen jüdischen Humor, der über die Generationen gewachsen ist. Er ist geprägt von der Ausgrenzung seit dem Mittelalter. Da entwickelte sich eine Schlagfertigkeit und ein Fatalismus, der nur mit Humor aufzufangen ist. Aber einfach zu sagen, die Juden sind lustiger als die Protestanten, das ist mir zu simpel.

In diesen Liedern verbinden sich Witz und Melancholie harmonisch. Ist das ein zeitgebundenes Phänomen?

Es ist genau das, was ich liebe und was es heute so nicht mehr gibt: diese Gleichzeitigkeit von Wehmut und Komik. Als Hörer weiß man nicht: Soll man weinen oder lachen? Geplant waren diese Lieder ja als komische Stücke, aber dann kam diese latente Wehmut dazu. Das allererste Stück, das ich auf Grammofon gehört habe, war eine Instrumentalversion von „Ich bin verrückt nach Hilde“. Ein lustiger, schneller Foxtrott, trotzdem lag darin durch die Töne der Saxofone irgendwas Trauriges. Das hat mich berührt. Da war ich zehn oder elf. Es war der Anfang meiner Leidenschaft für diese Lieder.

Sie singen größtenteils Repertoire aus der Weimarer Republik. Passt es besonders in die heutige Krise?

In diesen Liedern fällt nicht einmal das Wort „Krise“ oder der Satz „Ich hab kein Geld“. Nur ganz wenige Lieder dieser Ära griffen diese Themen direkt auf. Ich würde sie sogar singen, wenn sie mir gefallen würden. Das tun sie aber nicht. In den Liedern, die ich singe, geht es um das, was die Menschen seit Urzeiten bewegt: ums Verlassenwerden, um Eifersucht, um Mordgedanken. Im Übrigen kann man die damalige und die heutige Krise gar nicht miteinander vergleichen. Damals hatten etliche Leute nichts mehr zu essen, sind verhungert in ihren Mietskasernen. Das Sozialsystem heute ist immerhin so aufgestellt, dass das nicht mehr geht. Armut ist da, aber man kann sie nicht mit den Dreißigerjahren vergleichen.

Sie singen auch den einst von Richard Tauber gesungenen Titel „Was weißt denn du, wie verliebt ich bin“. Was schätzen Sie an Tauber?

Er hatte eine einmalige Stimme, ein wunderbares Timbre. Hören Sie sich heute diese Tenöre an, die Léhar singen: Die verstehen vieles nicht. Tauber konnte all seine Lieder, auch die Schlager, in eine edle, zarte Form bringen. Er hat allen Kitsch entkitscht.

Sein Freund Joseph Schmidt sang damals einen Filmschlager mit dem tragischen Titel „Im Leben wird dir mehr genommen, als gegeben“...

Das passt perfekt zu Schmidts tragischem Leben. Er musste kämpfen, um als Sänger erfolgreich sein zu können, und litt dann viel unter dem Regime. Ich hingegen bin der glücklichste Mensch, den man sich vorstellen kann. Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Niemand redet mir rein. Ich bin mein eigener Herr und Geschmackswart.

In unserer libertären Gesellschaft schwindet der Sinn fürs Frivole...

Ja, das ist traurig. Die Doppeldeutigkeit ist ganz allgemein verloren gegangen in der Popmusik, sowohl was die Ironie betrifft als auch was das Anstößige anlangt. Das hält die alten Lieder so lebendig: dass sie Dinge ansprechen, ohne sie auszusprechen. Oft merkt man Pointen erst, wenn sie längst vorbei sind.

Mit Mimik und Gestik geizen Sie auf der Bühne. Wieso?

Ich halte nichts davon, alles zu bebildern, was man singt. Diese Stücke sind so dicht, dass man sie nicht groß mimisch und schon gar nicht gestisch untermalen muss.

Wie zeitgenössisch ist Ihre Kunst?

Das könnte man auch jemanden fragen, der Mozart interpretiert. Da kommt man nicht auf diese Idee! Ich behaupte aber mal, dass meine Interpretation in den Zwanzigerjahren anders ausgesehen hätte. Da ist schon die Reflexion eines heutigen Blickes dabei. Was exakt das ist, kann ich nicht erklären. Sicher ist: Ich erkenne das Zeitlose in diesen alten Liedern. Ich mache keine Nostalgieshow, ich halte das für ein lebendiges Repertoire.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.