Wenn die Bartoli missionieren kommt

CECILIA BARTOLI
CECILIA BARTOLIAPA/HERBERT NEUBAUER
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Die italienische Mezzosopranistin exhumiert Arien von Agostino Steffani und begeistert damit im Wiener Musikverein. Ihr zur Seite: „I Barocchisti“ unter Diego Fasolis.

Alle Künstler sind gleich, aber manche sind gleicher. In dem Sinne, dass man ihnen mehr durchgehen lässt. Etwa Cecilia Bartoli. Schon bisher nicht ganz ungeschickt in der Selbstvermarktung, hat sie mit „Mission“, einer Sammlung von Arien Agostino Steffanis, eine neue Stufe erklommen. Man darf sich schon fragen, ob ein Album wie dieses tatsächlich eines begleitenden Romans durch Donna Leon bedarf. Der Verweis im opulenten, mit hart die Grenze zum Lachhaften auslotenden Fotos gespickten Beiheft auf das bald erscheinende Computerspiel lässt einen vollends (ver)zweifeln.

Doch alle Einwände werden mit einem Schlag bedeutungslos, wenn die Bartoli dann wie am Donnerstagnachmittag im Wiener Musikverein die Bühne entert, mit ihrem Übermaß an positiver Energie und vor allem ihrer Stimme, die von Jahr zu Jahr noch runder, noch subtiler geführt wirkt.

Wo beginnen? Bei der enormen Wandlungsfähigkeit, die es Bartoli erlaubt, Arien aus mehreren Opern mit völlig unterschiedlichem Stimmungsgehalt nicht nur organisch aneinanderzureihen, sondern auch jede Rolle völlig glaubwürdig über die Rampe zu bringen? Bei ihrer Kunst, noch die waghalsigsten Koloraturen nicht als eitle vokale Kraftmeierei, sondern als pure musikalische Notwendigkeit erscheinen zu lassen? Oder doch bei Agostino Steffani, dessen Musik auszugraben Bartolis jüngste Mission ist?

Gewagte Harmonien

Agostino wer? Zuweilen fragt man sich bei exhumierten Raritäten ja, ob sie nicht mit gutem Grund der Vergessenheit anheimfielen. Bei Steffani (1654–1728) ist das Gegenteil der Fall. Seine Musik sprüht vor Einfallsreichtum, gewagten Harmonien und originellen Begleitfiguren. Dass ihn die Bartoli „gerettet“ hat, ist wohl kein Zufall, geben ihr seine affektsatten Arien doch die perfekte Vorlage für ihre stimmlichen Vorzüge: Das berückende Piano etwa, das noch in der stärksten Reduktion voller Energie wirkt, oder die Fähigkeit, Töne quasi aus dem Nichts anschwellen zu lassen und sie wieder dorthin zu „entlassen“.

Unterstützt wurde Bartoli vom elegant musizierenden Ensemble „I Barocchisti“, das sich unter der Leitung von Diego Fasolis gelegentlich allerdings so zurücknahm, dass man Sorge hatte, ob es die Töne bis in den hinteren Saalbereich schaffen würden.

Die drei Zugaben lieferte einer, den man nicht erst ausgraben muss: Händel. Und kurz keimte der Verdacht, Steffani sei vielleicht nur ein luxuriöses Vorprogramm gewesen. Das „Lascia, ch'io pianga“ aus Rinaldo sang Bartoli mit solch betörender Innigkeit, dass jede weitere Zugabe ein Frevel wider diese Gefühlsintensität hätte sein müssen. Und doch war man dankbar für die Bravourarie, mit der sich Bartoli dann verabschiedete. Manche Künstler sind eben gleicher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2012)

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