Barockoper: Mit Vinci im Countertenor-Himmel

Barockoper Vinci CountertenorHimmel
Barockoper Vinci CountertenorHimmel c APA HARALD SCHNEIDER
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Das Theater an der Wien feiert mit "Artaserse" einen Triumph: Fünf bestens disponierte Countertenöre gleichzeitig auf einer Bühne, das hat man selten.

Das Theater an der Wien wurde am Dienstag Schauplatz eines veritablen Luxusproblems: Die Zeiten sind nicht lange her, da war man froh, auf der Bühne einen guten Countertenor vor sich zu haben, die Spezies war dünn gesät. Gleich mit deren fünf konfrontiert zu sei hätte man als Utopie abgetan. Am Dienstag wurde sie Realität, und man stand – und das war das Luxusproblem – vor der so schwierigen wie angenehmen Aufgabe, bei einer exemplarischen konzertanten Aufführung von Leonardo Vincis letzter Oper, „Artaserse“ (1730), ihre stimmlichen Vorzüge gegeneinander abzuwägen.

Was darf's denn sein? Die Wendigkeit, die die Stimme des Argentiniers Franco Fagioli auszeichnet, der manch raffinierte Verzierung setzte? Die unverwechselbaren Färbungen und das feine Piano von Lokalmatador Max Emanuel Cenčić? Vielleicht die lyrischen Qualitäten des gebürtigen Rumänen Valer Barna-Sabadus, dessen Stimme sich am schönsten mit dem Orchesterklang mischte? Oder lieber doch die Fähigkeit zur harten Attacke von Yuriy Mynenko, der auch über eine ansprechende Tiefe verfügt?

Jaroussky bekommt Konkurrenz

Nein, es soll hier kein goldener Apfel vergeben werden, eines wurde jedoch deutlich: Warum Philippe Jaroussky als einer der Stars der Stimmgattung gilt. Er vereinte – in der Titelrolle – alle Vorzüge in einer Person. Seine Stimme verfügt bei aller Subtilität in Führung und Ausdruck über eine Präsenz und Kraft, wie man sie bei einem Countertenor selten findet.

Klar wurde aber auch: Bei der heutigen, gut ausgebildeten Konkurrenz – der Schnitt mit dem Chirurgenmesser ist zum Glück längst Geschichte – kann er sich warm anziehen. Als Entdeckung des Abends kann der junge Barna-Sabadus gelten, dessen Sopran von einer fast überirdischen Reinheit war. Der technisch vielleicht am stärksten beeindruckende Fagioli war ja schon an der Wien zu Gast.

Nicht vergessen darf man freilich Daniel Behle. Es dauerte genau 15 Minuten, und das Ohr hatte sich so an die Frequenzen der Countertenöre gewöhnt, dass man Behles sicher geführten Tenor tatsächlich als tiefe Stimme empfand! So schnell können sich die Koordinaten verschieben.

Zweite Sensation war das Werk selbst: Vinci wird heute kaum gespielt – nach diesem Abend ist das unverständlicher denn je: Artaserse, das bedeutet mehr als drei Stunden neapolitanische Oper in höchster Perfektion, mit raffinierter Melodieführung und effektvollem Orchestersatz. Mit dem Concerto Köln unter Diego Fasolis werkte zudem ein ideales Ensemble im Graben, das die Partitur so richtig zum Glänzen brachte. Und so gab es schon zur Pause frenetischen Applaus und Bravos, nicht zu reden vom Orkan, der nach dem Schlusschor losbrach. Ein Ereignis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2012)

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