Hier wird vorsätzlich Musik "emporgebracht"

Hier wird vorsaetzlich Musik
Hier wird vorsaetzlich Musik(c) APA (ROLAND SCHLAGER)
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Nikolaus Harnoncourt dirigiert ein Remake des Gründungskonzerts der Gesellschaft der Musikfreunde, die zum 200. Geburtstag beweist, wie lebendig die Musikpflege in den "heiligen Hallen" geblieben ist.

Die Emporbringung der Musik“ – so lautet das Motto des Symposions, das eben in den Räumen des Wiener Musikvereins abgehalten wird. Präzis zu ihrem 200.Geburtstag hat die Gesellschaft der Musikfreunde zum ungewöhnlichen Konzert gebeten: Nikolaus Harnoncourt, der Singverein und der Concentus Musicus rekonstruieren das Gründungskonzert von 1812.

Aber weil die Musik „in allen ihren Zweigen emporgebracht“ werden soll – so verkündete das Gründungsdekret –, schwelgt man nicht nur in Festempfängen und Erinnerungen an die große Vergangenheit, denen ein reich illustrierter Prachtband auf die Sprünge hilft. Am Abend der ersten Aufführung des Konzert-Remakes präsentierten im Brahmssaal überdies Musiker des RSO Wien im Rahmen einer Veranstaltung von Exil.Arte Beispiele „vertriebener Musik“ – Geschichtsaufarbeitung in Klanggestalt, wie es sich für ein Haus, das auch eine der bedeutendsten Musiksammlungen der Welt beherbergt, geziemt.

Worauf die Wiener stolz sein dürfen

Und, eine weitere „Parallelaktion“, im Gläsernen Saal debütierte mit Harriet Krijgh eine exzellente Instrumentalistin. In Holland geboren, in Wien bei Lilia Schulz-Bayrova ausgebildet, demonstrierte die 21-Jährige an der Seite ihrer sensiblen Klavierpartnerin Kamilla Isanbaeva, warum ihr geradezu märchenhafter Ruf vorauseilt: edler Ton, ebenmäßige Phrasierung und ein stilistischer Instinkt, der sie von der makellos-klar artikulierten Bach-Suite bis zum geradezu clownesken Bravourakt in der „Serenade“ der Debussy-Sonate sicher geleitet.

Zudem alle Leidenschaft für Brahms (seine Bibliothek findet sich im Musikvereins-Archiv!), die nötige Leuchtkraft für Richard Strauss – die Geschichte geht weiter. Auch das demonstriert die Gesellschaft der Musikfreunde. Man nimmt all das in dieser Stadt traditionsgemäß mit einer gewissen Nonchalance für selbstverständlich, und darf zumindest zum Geburtstag auch einmal verkünden, dass man darauf als Wiener Musikfreund stolz ist.

Gestern, Donnerstag, setzte man noch nach und holt auch die Jüngsten ins Haus: Kinderkonzerte, Aktivitäten für Jugendliche ergänzen das weltweit bestaunte Starprogramm des Hauses seit Langem. Darauf legt Intendant Thomas Angyan bei der Programmierung ebenso viel Wert wie auf die Anwesenheit von international begehrten Interpreten-Choryphäen.

Harnoncourts Mozart, frei nach Händel

Eine davon, Nikolaus Harnoncourt, wurde im Verein mit den Solisten Roberta Invernizzi, Werner Güra und Gerald Finley, dem Wiener Singverein sowie dem Concentus Musicus ein wahrer Triumph zuteil. Das Publikum war zum Zeugen, ja sogar zum Mitwirkenden eines Größeren geworden: nämlich eines Triumphs der Klänge an sich. Unter dem Titel „Timotheus oder Die Gewalt der Musik“ stand, wie vor 200 Jahren, Mozarts Bearbeitung von Händels Cäcilien-Ode namens „Alexander's Feast or The Power of Music“ auf dem Programm.

In dem Werk wird geschildert, wie ein Sänger mit seiner musikalischen Kunstfertigkeit alle möglichen Emotionen hervorrufen kann, bis am Ende Cäcilia, die Schutzheilige der Musik, die ihr gebührende Huldigung empfängt – und ein erheblich aufgestockter Concentus sowie die Hundertschaft des Singvereins vermittelten außerdem eine grandiose Ahnung von den durch zusätzliche Instrumente und 600 Mitwirkende geprägten Aufführungsumständen des „Monsterkonzerts“ von 1812.

Wann ward es erlebt, dass das allgegenwärtige Gold des Großen Musikvereins-Saals einmal nicht bloß bei Bruckner, Franz Schmidt o. a. direkt der entfalteten Klangfülle entsprach, sondern bei einem Werk des 18. Jahrhunderts, ausgeführt auf historischen Instrumenten?

Die bewegende Forte-Pracht, die da von Beginn der Ouvertüre an zu hören war, differenzierte Harnoncourt freilich nach allen Seiten. Ganz sanft etwa erklangen atemberaubend fahle Flöten- und Klarinettentöne in der Arie „Er sang den Perser groß und gut“ oder später amouröse Cellokantilenen, in überwältigendem Fortissimo hingegen markerschütternde Blechbläser und Pauken, zu beiden Seiten des Podiums platziert und noch durch das Donnern einer zentral postierten großen Trommel verstärkt: Bacchus, von Gerald Finley mit kernigem Bass beschworen, zog mit unerhörtem Pomp ein.

Und die explosiven Crescendi, die der auch im Zarten fulminante Singverein beim „Lobgeschrei“ hören ließ, machten mächtigen Eindruck. Selbstverständlich nahm Harnoncourt eine Vorschrift wie „A tempo giusto“ insofern wörtlich, als er den wiederkehrenden Text „und seufzt und blickt“ in zärtlicher Langsamkeit aus dem raschen Fluss der Arie heraushob: Schade nur, dass die für Christine Schäfer eingesprungene Roberta Invernizzi zwar über Charme, nicht aber über saubere und ebenmäßige Soprantöne verfügte, während sich Werner Güra durchwegs als virtuos wendiger Tenor erwies.

Dass der olympische Gedanke zählt und Dabeisein wirklich alles ist, wurde spätestens dann klar, als nach der Pause mit einem Glas Gratissekt, das schüchterne Stimmbänder zu lockern half, Notenblätter verteilt wurden und der Maestro das Publikum in die Aufgabe einwies, den Weckchor für den schlafenden Alexander den Großen beim Dacapo mitzusingen: „Diese schwarzen Punkte, das sind die Töne.“

Zumindest jene, die da in vielleicht nicht mehrheitlich kräftigen und qualitätsvollen, aber doch vereinzelt begeistert und selbstsicher tönenden Gesang ausbrachen, durften möglicherweise nach längerer Zeit oder überhaupt erstmals das Elementare, Erhabene gemeinsamen Musizierens spüren. Nach viel Gewaltigem ein schlicht großer Moment eines unvergesslichen Abends.

200 Jahre Musikverein

1812 wurde die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien gegründet. Ihr Ziel: „die Emporbringung der Musik in allen ihren Zweigen“.

Ein Kongress beleuchtet zum Jubiläum die reiche Geschichte des Hauses. Sitzungen noch heute, Freitag, 9 und 14.30 Uhr (Stein-Saal).

Die Spannweite des Angebots unterstreichen heute „Kindergartenkonzerte“ sowie abendliche Konzerte der Philharmoniker und von Wolfgang Puschnig (brasilianische Musik).

Das Buch zum Jubiläum: Michaela Schlögl, „200 Jahre Gesellschaft der Musikfreunde“ (Styria Premium Verlag).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2012)

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