Liebeswerben und Intrige: Mutis erster „Simon Boccanegra“

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Das Teatro dell' Opera eröffnete die neue Saison mit der schwerblütigen Verdi-Oper: musikalisch glänzend, szenisch enttäuschend.

Staatspräsident, Ministerpräsident, einige Minister und Roms Bürgermeister führten die Riege der Ehrengäste bei dieser Inaugurazione an, die – wie sollte es anders sein vor dem Verdi-Jahr? – einer bedeutenden Verdi-Oper galt. Ein bewusster Kontrast zur in wenigen Tagen folgenden Scala-Saisoneröffnung mit „Lohengrin“: Wagner ist ja der zweite Musikregent 2013.

Mutig, dass man für den Saisonstart nicht eine der ganz populären Verdi-Opern wählte. Weder die Uraufführung von „Simon Boccanegra“ 1857 im venezianischen Teatro La Fenice, noch die Premiere der zweiten Fassung in der Scala 1881 brachte ja den gewünschten Erfolg. „Ich glaubte, etwas leidlich Gutes gemacht zu haben, aber jetzt scheint es, als ob ich mich getäuscht hätte“, beklagte Verdi die enttäuschende Resonanz seiner letzten für Venedig geschriebenen Oper. Das Blatt wendete sich erst 1930 mit der von Clemens Krauss dirigierten Wiener Premiere, mit einer Textbearbeitung von Franz Werfel.

Weit gespannt sind die Themen dieser Oper. Und die Handlung bleibt einigermaßen verworren – trotz der Straffung des ursprünglichen Textes durch Arrigo Boito, der die inhaltlichen Linien deutlicher herausarbeitete: den Kampf zwischen den herrschenden Patriziern und den Plebejern, die alles unternehmen, um endlich an die Macht zu kommen, ein zwischen beiden stehendes Liebespaar, die späte Versöhnung der Hauptprotagonisten beider Lager, schwer erkauft mit Simones Gifttod. Die zwischen brutaler politischer Intrige und intensivem Liebeswerben changierende Oper schließt in einer Variation des alten Themas „Der König ist tot, es lebe der König“. Wobei sie nicht von einem König, sondern von einem genuesischen Dogen handelt – setzt doch der dem Tod geweihte Simon seinen Schwiegersohn Gabriele als Nachfolger ein.

Verdi hat diese Themenvielfalt wirkungssicher, vor allem kunstvoll und von den damals üblichen Schemata abgehend in Musik gesetzt. So beginnt diese Oper nicht mit einer Ouvertüre oder einem weit ausladenden Vorspiel, sondern mit einem sehr rezitativisch geführten Prolog. Er stellt Simons späteren Mörder, Paolo, der einst noch ganz auf seiner Seite stand, vor, führt packend in die schwerblütige Atmosphäre dieser Oper, die das Orchester oft gleichberechtigt mit den Protagonisten sieht. Mit fahlem Pathos, gar mit Sentimentalität lässt sich ihr nicht beikommen, weit eher mit kammermusikalischer Dezenz, raffinierter Dynamik und Tempi, die den Protagonisten den nötigen Atem für ihre Botschaften lassen, mehr noch: die sie unterstützen.

Genau dieses Konzept wählte Muti für seinen ersten „Simon Boccanegra“. Exzellent hatte er das Orchester des römischen Hauses, dessen Ehrendirigent auf Lebenszeit er ist, für diese Aufgabe vorbereitet. Erstaunlich, wie es sich in den vergangenen eineinhalb Jahren entwickelt hat.

Mit seiner großbögigen wie detailreichen, spannenden Interpretation bewies Muti einmal mehr seine spezifische Affinität zu Verdi. Nicht nur er stellte sich dieser Oper zum ersten Mal, sondern auch George Petean, der die Titelpartie differenziert gestaltete, für Dmitri Beloselskiy, der als Fiesco prächtig auftrumpfte, für Maria Agresta, die sich als Maria/Amelia mit sicheren Höhen und natürlicher Innigkeit präsentierte.

Souverän war Francesco Meli als Gabriele Adorno, rollendeckend waren Quinn Kelsey und Riccardo Zanellato als Paolo und Pietro. Bestens einstudiert auch die Choristen. Enttäuschend ist Adrian Nobles dem konventionellen Frontaltheater verpflichtete, sich kaum mehr als auf die Erzählung der Handlung konzentrierende Regie in den weit in die Höhe ragenden Bühnenbildern Dante Ferrettis, die die spezifische Poesie dieser Oper kaum je reflektieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2012)

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