Gould: Der Wagner-Held im Gewand des Gottes Bacchus

Endlich wieder Richard Strauss: Der amerikanische Tenor Stephen Gould erzählt im Gespräch über seine heimlichsten Wünsche an die Opernintendanten, über Vorurteile und das Durchhaltevermögen.

Ein bisschen nervös bin ich schon“, sagt er, „weil ich ja als Strauss-Tenor zurückkomme“: Stephen Gould, umjubelter Wagner-Held vergangener Spielzeiten, nicht nur, aber auch an der Wiener Staatsoper, singt am Mittwochabend den Bacchus in der Premiere von „Ariadne auf Naxos“ im Haus am Ring. Franz Welser-Möst dirigiert. Sven-Eric Bechtolf hat seine Salzburger Festspielinszenierung, die einem Arrangement der Urfassung des Werks von 1912 galt, auf die gewohnte Version von 1916 umgepolt. In dieser Gestalt – versehen mit einem die Verknotungen der Komödien- und der Tragödienhandlung erklärenden „Vorspiel“, hat „Ariadne“ ihren Siegeszug angetreten. Die Rolle des Bacchus, der zuletzt als eine spezielle Mutation des „Deus ex Machina“ erscheint, gilt als unangenehm zu singen. „Weil die Tessitura sehr hoch liegt“, sagt Gould, der seinen Heldentenor, in jüngster Zeit auf Siegfried und Tannhäuser geeicht, in die Höhe schrauben muss.

„Ich freue mich aber, die Rolle noch einmal zu singen“, sagt er und fügt gleich hinzu: „Ich glaube, es wird die letzte ,Ariadne‘-Serie sein, an der ich mitwirke. Vielleicht einmal noch kommende Saison, aber dann war's das.“ Die Umstellung von Wagner auf Strauss fordert einem Sänger denn doch allzu viel ab: „Man muss diese Partien mit einer anderen Technik singen“, resümiert Gould, „für mich ist das zumindest so. Für mich schreibt Strauss sozusagen Belcanto, er fordert lange Phrasen, große melodische Bögen. Ich versuche jedenfalls, so schlank wie möglich zu singen. Und das bedeutet, dass ich während einer ,Ariadne‘-Serie keine anderen Partien singen kann.“

Einmal alle vier „Ring“-Abende

In näherer Zukunft heißt es dann wieder umstellen: „Jetzt kommen viele Tristans“, sagt Gould, „und irgendwann möchte ich einmal auch Siegmund singen, dann den Loge. Irgendwann, denke ich, wäre es schön, einmal in einem ,Ring‘-Zyklus in allen vier Werken aufzutreten; wie einst Max Lorenz, das wäre ein Spaß für mich. Obwohl mir viele gesagt haben: Du bist verrückt, du bist Siegfried, dann kannst du nicht mehr Siegmund singen. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich glaube, der Siegmund ist ein Spaziergang im Verhältnis  zum Siegfried – und die Musik der ,Walküre‘ ist so herrlich, dass ich da unbedingt einmal dabei sein möchte.“

Dass man Sänger heute gern auf sehr eng begrenzte „Fächer“ einengt, stört Gould sehr: „Das ist nicht nur bei den Tenören so. Früher einmal war es kein Problem, dass zum Beispiel die eben verstorbene Lisa della Casa im ,Rosenkavalier‘ alle drei Frauenpartien gesungen hat. Sicher sie als Marschallin ein Idealbild, eher jedenfalls als in der Partie der Sophie. Aber man hat ihr alle drei Rollen zugetraut. Heute ist das beinah unmöglich. Es wird nicht erlaubt. Drum freue ich mich, jetzt wieder aus dem engen Wagner-Korsett ausbrechen zu können.“

Medial verbreitet wird Stephen Goulds Stimme freilich als jene eines der führenden Wagner-Tenöre unserer Zeit. „Studioaufnahmen“, erzählt er, „werden heute ja nicht mehr gemacht. Aber ich habe gute Erfahrungen zum Beispiel mit dem ,Tristan‘, den wir live mitgeschnitten haben. Da kann man zwar nichts mehr rückgängig machen, aber die Stimmung einer Aufführung wird dann eingefangen. Das ist viel wert. Man kann vielleicht ein paar Töne stehlen von der Aufzeichnung der Generalprobe, aber im Prinzip bleibt die Aufnahme unverändert. Der dritte Akt des ,Tristan‘ beispielsweise ist sicher ohne Schnitt auf CD gebrannt worden.“ Die Firma Pentaton lässt kommenden März den „Siegfried“ in Berlin mitschneiden.

Die lästige Wagner-Dominanz

Wagner dominiert also weiterhin in Goulds Kalender: „Es ist ein wenig schade, dass man, wenn man einmal die Heldenpartien singt, so festgebunden ist. Ich dachte, ich hätte einen Punkt in meiner Karriere erreicht, an dem ich mir auch einmal etwas wünschen dürfte. Die großen Britten-Rollen zum Beispiel, oder die eine oder andere von den wirklich gut gemachten amerikanischen zeitgenössischen Opern. Aber niemand hat Interesse.“

Oder fast niemand: „2015 oder 2016 planen wir eine spannende Premiere in Linz.“ Da werden die österreichischen Gould-Verehrer eine andere Facette des Tenors kennenlernen dürfen. Immerhin: Am Beginn der Laufbahn dieses Künstlers standen ja Ensuite-Serien von Musical-Produktionen: Gould wurde vom „Phantom der Oper“ zum echten Opernhelden. Ein bisschen etwas von dem Eroberungsgeist, der ihn dabei geleitet hat, ist in ihm nach wie vor lebendig.

„Wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass die Opernintendanten und Regisseure auch die sogenannten schweren Partien immer öfter mit jungen, lyrischeren Stimmen besetzen. Ich bin jetzt bald in einem Alter, in dem man mir den Jung-Siegfried nicht mehr glaubt. Und ich habe deshalb keine Lust, diese Rolle noch sehr lange zu singen. Die Zeiten, in denen ein Lauritz Melchior als Sechzigjähriger noch den Lohengrin singen konnte, die sind wirklich vorbei.“

Wobei der Lohengrin wie auch der Florestan in Beethovens „Fidelio“ schon noch eine Zeitlang auf Goulds Wunschliste stehen: „Hamburg gibt mir immer wieder Chancen, ein bisschen aus dem Gehege auszubrechen, da darf ich die beiden Rollen übernächste Saison wieder singen.“ Das hat beinah etwas mit Hygiene zu tun: „Bei Lohengrin weiß der Tenor, wie es um seine Stimme steht.“ Beim Bacchus wohl auch . . .

Ariadne auf Naxos: Staatsoper, ab 19. 12.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2012)

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