Warum Wagner zu Neujahr?

Franz Welser-Möst dirigiert im traditionellen Walzerkonzert Werke der beiden Opernmeister, die 1813 geboren wurden.

Das Vorspiel zum dritten Akt des „Lohengrin“ und die Ballettmusik aus „Don Carlos“ – was haben diese Stücke im Neujahrskonzert verloren? Die Frage stellt sich angesichts des philharmonischen Programms vom 1. Jänner 2013 manchem Musikfreund.

In der Regel hört man an diesem Datum Strauß. Nicht Richard oder Oscar, sondern Joseph, Eduard und zweimal Johann. Ein bisschen Lanner vielleicht, Franz von Suppé oder Hellmesberger.

Aber Wagner und Verdi?

So sehr haben wir uns an die Scheidung von „ernster“ und „unterhaltender“ Musik schon gewöhnt, dass die Anmutung dieses Programmzettels uns seltsam erscheint.

Doch gab es im Mozart-Jahr schon Mozart, im Haydn-Jahr gar eine „Abschieds-Symphonie“ und zuletzt, bei Welser-Mösts erstem Neujahrsauftritt, auch Franz Liszt.

Nun also dessen Schwiegersohn, der – siehe nebenstehendes Feuilleton – sehr enge Beziehungen zur wienerischen Walzerdynastie pflegte; zumindest in künstlerischer Hinsicht, denn Wagner verehrte Strauß Vater, dessen Söhne wiederum ihn adorierten – und aufs Programm setzten.

Also „Lohengrin“ neben Polka schnell und Quadrille – ein sprühendes, lebensfrohes Fragment aus einer pechschwarzen Tragödie, ein Beispiel für jenen Wagner, der imstande war, wirklich zündende Musik zu schreiben. Verdis melodische Erfindungsgabe hat ja auch die „Walzer-Sträuße“ zu allerlei raffinierten Arrangements inspiriert, nicht nur mit „Un ballo in maschera“, der nicht nur wegen des titelgebenden Maskenballs allerlei Walzerndes (wie das verschmitzte Couplet des Oscar) enthält.

Sogar der blutrünstige „Macbeth“ kommt bei der Wiener Strauß-Familie zu Ehren, wie man im Neujahrskonzert diesmal auch hören wird können.

Verdis eigene Ballettmusik, die er nolens volens für die Pariser „Don Carlos“-Premiere zu liefern hatte, weil dort jede große Oper eine ausgiebige Tanzeinlage enthalten musste? Die klingt in manchen Passagen sogar wie Offenbach – und der wiederum hat die Sträuße in Sachen Musiktheater herausgefordert. Ohne den Pariser Operettenpionier und dessen Wiener Landnahme – die notabene ein Jahr nach der „Tannhäuser“-Erstaufführung beginnt – gäbe es die „Fledermaus“ und das ganze, angeblich so wienerische Genre gar nicht!

Also Offenbach, gefiltert durch Verdi, der gar nicht so selten auf Walzerrhythmen in seinen Opern zurückgreift; vor allem wenn gefeiert wird, in einem mutigen Zeitstück wie der „Traviata“ zumal, wo der Komponist kühn aus „fernster Druidenvergangenheit“ in seine Gegenwart vordringt und diese auf die Bühne bringt. Schon zum Trinklied ließe sich tanzen, erst recht zum folgenden Dialog, den Verdi ausdrücklich „Valzer-Duetto“ nennt und die Banda im Festsaal entsprechend aufspielen lässt.

Tanzrhythmen für Wotan. Bei Wagner liegen die Dinge diesbezüglich ein wenig komplizierter. Wotan bekommt den tänzerischen Rhythmus erst durch das spöttische Klavierarrangement „Souvenirs de Bayreuth“ von Gabriel Fauré und André Messager untergeschoben. Aber der verführerische Reigen von Parsifals Blumenmädchen schwingt im Walzerrhythmus, auch wenn Wagner in den Skizzen irgendwo anmerkt: „amerikanisch sein wollend . . .“ Und die Lehrbuben in den „Meistersingern“ tanzen die gemütliche Vorform des Walzers, den Ländler, einen der wunderbarsten, der je komponiert wurde. Der hätte Hanslick, dem nostalgischen Verehrer von Franz Schubert und Joseph Lanner, eigentlich gefallen müssen . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2012)

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