Neujahrskonzert: Über heikle Musik-Balanceübungen

'Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker'
'Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker' (c) ORF (ALI SCHAFLER)
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„Prosit 2013“ wünschten die Philharmoniker erstmals auch mit Klängen von Wagner und Verdi. Mit Franz Welser-Möst scheint das Orchester in allen musikalischen Lebenslagen harmonisiert.

Das war gewiss eines der abwechslungsreichsten Neujahrskonzerte in der mittlerweile 73-jährigen Geschichte dieser Wiener philharmonischen Grußbotschaft an die weite Medienwelt. So viele Premieren wie noch nie waren avisiert – erstmals sogar Originalkompositionen von Giuseppe Verdi und Richard Wagner.

Doch band sich, was uneinheitlich willkürlich hätte wirken können, zum harmonischen Bukett. Die Philharmoniker und Franz Welser-Möst, der zum zweiten Mal am Neujahrstag zum Zug kam, haben in der gemeinsamen Staatsopern-Zeit ganz zueinandergefunden. Sie musizieren wienerische Walzer, den „Carneval in Venedig“ oder „steyrische Tänze“ in einer symbiotischen Harmonie, die alle heiklen Balanceübungen, die diese Musik fordert, wie selbstverständlich klingen lassen.

Der „unzählbare“ Dreivierteltakt

Der notorisch gefährliche, weil in Wahrheit „unzählbare“ Walzer-Dreivierteltakt ist in seiner ganzen fantastisch-reichen Vielfalt erfasst, die melodischen Phrasen schwingen über alle Ordnungsstriche hinweg, wahrhaft „dirigiert“ von einem größeren Taktgefühl, dessen sensibler Anwalt der Wiener Generalmusikdirektor ist.

Dass der heimische Operettenstil französische Wurzeln hat, wird verschmitzt deutlich, wenn die Ballettmusik zu „Don Carlos“ erklingt, die Verdi, ganz von Offenbach inspiriert, für Paris komponiert hat. Sie fügt sich ins Neujahrsprogramm auf diese Weise so harmonisch wie der brillant-eruptive Festesklang von Wagners Vorspiel zum dritten „Lohengrin“-Akt, das, rauschhaft schön musiziert, so viel Applaus bekommt wie die bekanntesten Strauß-Piècen. Es gibt eben nicht „ernste“ und „unterhaltende“ Musik, sondern nur gute und schlechte.

Pièces bien faites, wahrhafte Meisterstücke, sind ja auch die diversen Quadrillen, die von den Wiener Walzerprinzen nach Fragmenten aus den jeweils aktuellen Opern-Novitäten ihrer Ära angefertigt worden sind – so kam ja Verdis „Maskenball“ schon wiederholt zu Neujahrskonzert-Ehren. Heuer hielten sogar die Hexen und die blutrünstige Lady aus „Macbeth“ in den Musikverein Einzug.

Der gestrenge Eduard Hanslick hätte dergleichen einstens nicht goutiert. Er plädierte ja leidenschaftlich für den gemütlicheren Tonfall eines Strauß Vater oder Joseph Lanner, von dem 2013 die „Steyrischen Tänze“ fein differenziert an Frühformen des bürgerlichen österreichischen Tanzvergnügens erinnerten, während mit den wohlbekannten „Sphärenklängen“, den kaum gespielten, doch fabelhaften „Hesperusbahnen“ und „Wo die Citronen blüh'n!“ die elaboriertesten Kreationen von Joseph bzw. Johann Strauß Sohn demonstrierten, wie rasch in den Pioniertagen aus dem Tanz- ein Konzertgenre werden konnte.

Symphonische Verzauberung

Schon bei Strauß Vater bürgerte sich ein, einer Novität stehend zu lauschen und deren musikalische Qualität zu kommentieren, bevor man sich – bei der ersten Reprise – dem Tanzen hingab. Daraus entstanden die Walzerkonzerte, deren edelsten Abkömmling das Neujahrskonzert darstellt.

Besonders Johann Strauß' „Aus den Bergen“ verzauberten die Philharmoniker und ihr Generalmusikdirektor diesmal in ein großes symphonisches Klanggemälde: So harmonisch reich und geradezu avantgardistisch in der koloristischen Ausgestaltung gibt sich kaum ein anderer Walzer – und just er ist Hanslick zugeeignet, eine subtile Rache des Komponisten an einem Rezensenten, der ihm über die Jahre hin wiederholt vorgeworfen hat, sich an die missliebigen „neudeutschen“ Kollegen des Wagner- und Liszt-Clans angebiedert, eher „Requiems“ als „echte Walzer“ komponiert zu haben.

Doch hatte das Methode. Und es ist, die Nutzanwendung davon, die große Kunst des Wiener Orchesters am Neujahrsmorgen: die Versöhnung zwischen „E“ und „U“, symphonischen Tiefgang mit elektrisierender Unterhaltungskunst zu vermählen. So elegant und konsequent wie diesmal gelingt das nicht immer.

Auch hält man sich am 1.Jänner meist nicht mit TV-tauglichen Faschingseinlagen so wohltuend zurück wie 2013: Franz Welser-Möst verteilte während Johann Strauß Vaters Variationen über „Ein Hund kam in die Küche“ Stofftiere an die jeweiligen Solisten und dirigierte dann, von Konzertmeister Rainer Küchl mit Kochmütze beschenkt, mit Kochlöffel zu Ende. Wenn das Jahr so weitergeht, wie es hier „angerichtet“ worden ist, dann wird es gut sein. Prosit.

Apropos: Ins Jahr 2014 wird uns zum zweiten Mal Daniel Barenboim geleiten – auch in Würdigung seiner 25-jährigen Partnerschaft mit den Philharmonikern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2013)

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