„Manon“, vertanzt: Märchenhaft schön und mitreißend

(c) Staatsoper/ Michael Pöhn
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Kenneth MacMillans grandiose Massenet-Choreografie wurde neu einstudiert und fesselt im ausverkauften Haus am Ring dank exzellenter Solistenleistungen nicht nur eingefleischte Ballettomanen.

Die Tanzkunst hat beim Wiener Publikum nie jene Rolle gespielt, die ihr etwa in Paris oder London traditionsgemäß zukommt. Seit Amtsantritt von Ballett-Direktor Manuel Legris ändert sich die Lage. Die Wiederaufnahme von „Manon“ beispielsweise war ausverkauft. Und das mit gutem Grund: Die Compagnie tanzt heute mit einer zuvor nicht gekannten Hingabe und technischen Meisterschaft. Und die Solisten brillieren, zumal, wenn sie von einer Choreografie wie dieser extrem gefordert werden.

MacMillans Tanzversion der Tragödie einer egozentrischen jungen Dame, auf raffiniert arrangierte Ausschnitte aus allen möglichen Massenet-Partituren – mit Ausnahme von „Manon“ (!) – gearbeitet, gehört zu den erzählmächtigsten abendfüllenden Tanz-Kreationen. MacMillans Fantasie scheint unerschöpflich: Vor allem der Titelheldin schenkt er immense Möglichkeiten vielschichtiger Seelenbespiegelung. Maria Yakovleva spielt denn auch – je nachdem eiskalt berechnend oder kokett-vielsagend – auf der Begierde-Klaviatur der Männerherzen: „Bis hierher und nicht – oder vielleicht doch noch ein Stückchen weiter.“ Vor so viel Durchtriebenheit hinter artifiziell verrätselter Unschuldsmiene geht ein unverdorbener Verehrer wie der Des Grieux von Friedemann Vogel nolens volens in die Knie.

Nobel überlässt er der Angebeteten den Vortritt, hingerissen von ihrem Charme; geht aber in den Momenten, da sich die Seele Manons zu öffnen scheint, vollends in den auch für das Publikum atemberaubenden Pas-de-deux-Verstrickungen auf.

Atemberaubender Todessprung

Was MacMillan seinen Helden zumutet, grenzt an Hexerei – unvergesslich, wie sich der abschließende Todestanz zuspitzt und die Ballerina sozusagen im Sprung ihr Leben aushaucht. Wer da unbeteiligt bleibt, ist nicht nur fürs Ballett, sondern fürs Theater verloren.

Rundum ein animiertes Ensemble, voran der virile, auch im heiklen parodistischen Alkoholexzess des Mittelaktes an der Seite der ebenbürtigen Ketevan Papava nur geplantermaßen absturzgefährdete Lescaut Kirill Kourlaevs. Vom kombinatorischen Reichtum des Choreografen profitieren auch der rechtschaffen arrogante Monsieur G.M. (Kamil Pavelka), Dagmar Kronbergers Madame und nicht zuletzt der durchtriebene Bettlerkönig Davide Datos. Vor allem aber das Corps de ballet, das in den Ensembleszenen auf mannigfache Weise durcheinandergewirbelt wird.

Welchen Standard die Truppe erreicht hat, demonstriert bereits die Eingangsszene, wo sich distinguierte „große Gesellschaft“ und vorlaute Frechheit der „niederen Stände“, von MacMillan farbenfroh gesondert, stilsicher nicht nur dank der Kostüme Peter Farmers voneinander abheben. Das Orchester unter Ermanno Florio sorgt mit der exzellent neu instrumentierten Massenet-Melange für genießerische Stimmungsmalerei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2013)

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