Seelenschau mit Schubert und Mahler

Goldene Klänge - Der Musikverein Wien
Goldene Klänge - Der Musikverein Wien(c) ORF (Ali Schafler)
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Gerald Finley und Julius Drake boten im Brahmssaal des Musikvereins eine Lehrstunde erfühlt-erfüllten Liedgesangs.

Allein in einem Kahn die Königin und ihr Zwerg, den sie um des Königs willen einst verlassen hat. Doch weil aus der abgewiesenen Liebe Hass wurde, muss die Fahrt tödlich enden – für beide. Schauerromantik pur – gewiss, über den Text von Matthäus von Collin kann man lächeln. Doch wenn Bassbariton Gerald Finley und Pianist Julius Drake dieses Lied Schuberts (D 771) vortragen, dann verliert sich jeder gesucht melodramatische Beigeschmack und macht echtem Schaudern Platz – weil die beiden meisterlich Stimmung und Charaktere treffen, weil die aufbrandenden Emotionen dadurch unweigerlich echt werden.

Natürlich auch beim ungemein schwierigen „Erlkönig“. Die pastosen Beruhigungen des Vaters, das zarte, doch intensive Klagen des Kindes, der Gänsehaut erzeugende Tonfall des Erlkönigs, alles eingefasst in den erregten Bericht des Erzählers: Ohne jede ins Plakative oder Opernhafte abgleitende Übertreibung, mit exemplarischem Gespür für die Äquilibristik des Genres zwischen innerer Beteiligung und referierender Haltung, fesselte Finley das Publikum.

„Der Einsame“: Ein Hauch Ironie

Dieses erlebte begeistert eine Lehrstunde erfühlt-erfüllter Liedinterpretation. Kernig, in allen Lagen sicher und viril kann Finley tönen – doch weiß er auch, etwa nach dem Fortissimo der stolz dem Sturme trotzenden männlichen Brust des „Schiffers“, die berührende Schlichtheit des „Kreuzzugs“ in zart geformten, innigen Legatophrasen auszubreiten. Er scheut um des Ausdrucks willen auch kein Risiko: Seelenschau par excellence. Wenn dazu Julian Drake, ein stets intelligenter Kommentator und eigenständiger Partner, etwa zu Finleys wunderbar schwerelosem, von einem Hauch Ironie umwehten Vortrag die Klavierstimme des „Einsamen“ mit bedeutungsvoll täppischem Humor tränkt und dadurch gewissermaßen in Anführungszeichen setzt, dann ist der Schritt in Gustav Mahlers Wunderhorn-Welt in diesem klug zusammengestellten Programm tatsächlich nur ein kleiner.

Wo das scheinbar Naive, Simple plötzlich so tief schürft, dass es die Nervenstränge schmerzhaft bloßlegt, auch dort sind Drake und Finley zu Hause. Die beklemmende Nachtschwärze der Soldatenlieder, die Differenzierungen des wiederkehrenden „Ade!“ im herzzerreißenden „Nicht wiedersehen!“ glichen eine gemessene „Fischpredigt“ und das „Lob des hohen Verstandes“ aus, bei dem Finley nicht bloß das „I-ah“ als Schlusspointe servierte, sondern der ganzen Eselsrede einen eigenen, lautmalerischen Tonfall verlieh. Als Zugaben zuletzt Schuberts „An Sylvia“ und „Abschied“ voll aufrichtiger Empfindsamkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2013)

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