Herrlich heiterer "Falstaff" in Graz

Herrlich heiterer Falstaff Graz
Herrlich heiterer Falstaff Graz(c)
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Das Verdi-Jahr 2013 beginnt in Graz mit einer temporeichen, szenisch hervorragenden Neuproduktion von "Falstaff". Leider mit brüllend lautem, grellem Orchester.

Vor zwölf Jahren hat Peter Konwitschny in seiner Grazer „Falstaff“-Produktion die pointenfunkelnde Hymne Verdis an die Heiterkeit noch in ein düsteres Szenario des Endes allen Theaters umgedeutet. Nun gibt dieses am selben Ort ein kräftiges Lebenszeichen von sich. Der junge, britisch-australische Regisseur Tama Matheson, selbst Schauspieler, nimmt Falstaffs Schlussworte „Mein Scharfsinn war's, der euren Scharfsinn weckte“ zum Ausgangspunkt seiner Inszenierung, die sich als dialektisches, fantasievoll-temporeiches Spiel entpuppt: Die bürgerlich-verkrustete Spießerwelt von Windsor lernt von Falstaff Lebenslust und spontanen Witz; Falstaff wiederum wird von dieser Gesellschaft von seinen selbstherrlichen Dünkeln und aufgeblasenen Einbildungen befreit.

So tritt der beleibte Protagonist als Zirkusdirektor auf, das erste und dritte Bild spielt in der Manege, und dies wäre ein reines Vergnügen, wenn nicht Bardolfo (Martin Fournier) und Pistola (Wilfried Zelinka) durch rote Clownnasen am Singen gehindert würden. Die Windsor-Gesellschaft hat ihr Zuhause in einer merkantil-sterilen Gegenwelt, Ford (Andrè Schuen, überzeugt schauspielerisch weit mehr als vokal) ist nun Fabrikbesitzer, die Farben sind in eintönigem Grau in Grau gehalten, seine Angestellten präsentieren sich in uniformierten Kleidern.

Hier darf gelacht werden

So prallen zwei Welten aufeinander, der Komödienton dominiert durchgehend. Es darf gelacht werden, und es wird gelacht, doch der Faden der Geschichte wird nie verlassen – mit einer Ausnahme, die jedoch plausibel erscheint: Am Ende des fünften Bildes findet Falstaff den Spickzettel, der die nächtliche Intrige seiner „Gegner“ enthält. Freiwillig spielt er dennoch mit, doch überkommt ihn just während der jenseitigen Schönheit des Elfenliedes (berückend vorgetragen von Nazanin Ezazi, einer bezaubernde Nannetta) die Selbsterkenntnis seiner irdischen Schwachheit – seine schluchzenden Tränen während dieses Augenblicks der Erleuchtung bilden einen Moment großen Theaters, ohne die Grenzen der Komödie zu verlassen.

Den ganzen Abend bleibt das von Verdi und Boito eindeutig intendierte „Heitere“ leicht und komödiantisch und verkommt nicht zur branchenüblich gewordenen zynischen Farce oder schwarzen Satire. Selbst die mediterrane Poesie des nächtlichen Feenwaldes kann atmen und sich entfalten. Freilich könnte man über handwerkliche Schwächen der Inszenierung meckern, doch können diese den letztlich auch vom Publikum warmherzig akklamierten Bühnenerfolg nicht nachhaltig trüben.

Musikalisch stellte sich der Abend leider in ganz anderem Licht dar: Der Rezensent hat in 40 Jahren in der Grazer Oper das heimische Orchester noch nie derart brüllend laut und ungezügelt grell gehört wie an diesem Abend. Sämtliche Blechbläser-Einsätze (die Posaunen im Schlussbild ausdrücklich ausgenommen) kamen als ungebändigt-aggressive akustische Wurfgeschosse daher, erstmals bekam man vollstes Verständnis für die sonst belächelte EU-Dezibelvorschrift.

Die Sänger hatten kaum eine Chance

Sämtliche Ensembles wackelten bis zur Unkenntlichkeit, der Abstand zwischen Orchestergraben und Bühne blieb trotz aller Bemühungen des Chefdirigenten Johannes Fritzsch den ganzen Abend hindurch schier unüberwindlich, was in der ersten der (leider zwei) Pausen zu einem Sager à la „Tante Jolesch“ führte, als eine sichtlich irritierte Dame im Publikum meinte: „Gelten S', des muss aber schwer zum Spielen sein!“

Nach dem tiefgründig-abgeschatteten Englischhorn-Solo besserte sich die orchestrale Verfassung endlich im Schlusstableau, erst jetzt hatten die Sänger eine faire Chance, einigermaßen hörbar zu sein. Allen voran Abdellah Lasri als Fenton mit wunderbar geschmeidiger, höhensicherer und weich timbrierter Stimme, gefolgt von der resoluten Mrs.Quickly. (Silvia Beltrami steuerte als einziger Native Speaker perfekte Italianità bei!) Von Margarita Klobučars hellem Sopran lässt sich bekanntlich schwärmen, keinesfalls ist sie aber eine Alice, denn deren lebenserfahrene Souveränität und familiär-mütterliche Reife stehen ihr (noch!) nicht zu Gebote. Xiaoyi Xu spielt die Mag sexy, man versteht aber kein einziges Wort von ihr.

James Rutherford gab (wie das ganze Ensemble) sein „Falstaff“-Debut und konnte überzeugen: Stimmlich bewältigte er seine Rolle nuancenreich und technisch souverän, überzeugte schauspielerisch vor allem in den flott-komödiantischen Spielpassagen und vermochte auch in seinen beiden Monologen zu berühren. Die philosophisch-weise Grandezza eines Tito Gobbi oder Giuseppe Taddei wird ihm im Lauf der Zeit sicherlich noch zuwachsen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2013)

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