"Mehr als Tod": Mozarts Bild und Geheimnis

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Wie hat Mozart "wirklich" geklungen? Wir wissen es nicht. Wir schauen uns sein "neues" Porträt an - und staunen weiterhin über seine Musik, die Verwandlung Taminos, und über vier Akkorde in "Così".

Die Welt ist ungerecht. Wäre sie gerecht, sie hätte uns schon zu Mozarts Zeiten die Möglichkeit in die Hand gegeben, Akustisches so treffsicher zu dokumentieren wie die Dinge, die wir sehen können. Eine Ausstellung im Rahmen der „Mozartwoche 2013“ zeigt beinah alle authentischen Porträts des Komponisten, die sich erhalten haben.

Was würden wir geben, könnten wir unser Ohr an eine Mauerritze legen, in der sich der Klang einer Mozart'schen Akademie verfangen hätte, an jenem Abend beispielsweise, an dem er im Verein mit Regina Strinasacchi vor Kaiser Joseph II. seine B-Dur-Sonate musiziert, improvisierend, weil in aller Eile nur die Violinstimme notiert werden kann, für die Partnerin – „ihr ganzes Herz und ihre Seele sind bey der Melodie“, schwärmt der Komponist. Den Klavierpart spielt er ganz einfach dazu, schüttelt ihn im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Ärmel, um ihn erst später, für den Druck, aufzuschreiben.

Was hat er wirklich gespielt damals, 1784? Und vor allem: Wie hat er gespielt?

Zwölf Porträts im Mozarthaus

Zwar, die bildlichen Darstellungen zeigen uns auch nicht, wie Mozart wirklich ausgesehen hat. Die Fotografie war so wenig erfunden wie die Tonaufzeichnung. Aber immerhin: Was die zeichnerisch mehr oder weniger begabten Damen und Herren auf Papier oder Leinwand gemalt haben, wenn sie sich angeschickt haben, ein Komponistenkonterfei zu erstellen, lässt immerhin etwas erahnen. Wohingegen die tönende Realisierung dessen, was in Noten aufgeschrieben wurde, so oder so oder noch ganz anders oder sogar nicht einmal so wie unter Nikolaus Harnoncourts Leitung geklungen haben – würde – hätte – könnte...

Wir dürfen also Mozart schauen gehen, ins Mozarthaus am Salzburger Makartplatz, wo aus Anlass der Mozartwoche – und dann geöffnet bis 14.April – zwölf von den 14 gesicherten Mozart-Darstellungen ausgestellt sind, Porträts also, von denen die Wissenschaft behauptet, sie seien mit Sicherheit zu seinen Lebzeiten entstanden.

Drei Viertel dieser Bilder hat die Stiftung Mozarteum in ihrem Besitz, den Rest hat man für diesen guten Zweck nach Salzburg geholt. Manches, was unklar schien, konnte die Forschung mittlerweile klären. So weiß man, dass das berühmte „unvollendete“ Gemälde Joseph Langes, was das Antlitz des Meisters betrifft, zu Mozarts Zeiten bereits vollendet war, dass sich der Komponist auf diesem Bild also sehen und hoffentlich auch erkennen konnte.

Überdies hat man unlängst eine bisher kaum beachtete Miniatur als zweifelsfreies Abbild von Mozarts Gesichtszügen identifizieren können. So werden nun vermutlich in wenigen Wochen in Salzburg mehr Menschen die Gemme begutachten als seit dem Jahr ihrer Entstehung, 1783, zusammengenommen.

Das war er also, der Mozart der Wiener Zeit, drei Jahre vor dem „Figaro“. Nichts mehr von dem erschreckend begabten Kind, über das die Vorsehung einen Extrakübel Musiktalent ausgegossen hat: Anlässlich der „Mozartwoche“ gibt man heuer den „Lucio Silla“ (siehe unten), das unbegreifliche Dokument des intuitiven Könnens eines Siebzehnjährigen, der sich anschickte, Text und Musik, Gesagtes, Ungesagtes, Gemeintes, Gedachtes, Empfundenes, die Realität des Außen und des Innen auf wahrhaft unerhörte Weise zu harmonisieren – und dabei die nüchterne Theaterpraxis zu beachten, das Handwerk, das ihm ermöglichen sollte, seine Botschaften so zu formulieren, dass auch unzureichende Boten – wie der „Lucio Silla“ der Mailänder Uraufführungsproduktion – sie in extenso zu vermitteln imstande sein sollten.

Auch dieser jugendliche Mozart war Gegenstand bildnerischer Etüden. Ja, schon das geniale Kind können wir in zeitgenössischen Porträts bestaunen. Das eben entlarvte Porträt aber zeigt uns den reifen, den schon weltberühmten Meister im Anflug auf seine größten Leistungen, die Da-Ponte-Opern, die letzten Symphonien, die großen Streichquartette und -quintette, die „Zauberflöte“.

Wie wichtig ist uns diese optische Erfahrung? Hat das Sehen in diesem Fall etwas mit dem Erkennen zu tun?

Was ist Freud dagegen?

Oder schärfen wir doch lieber unseren Gehörsinn für die Subtilitäten, die uns im Klang einen unheimlich in Seelentiefen lotenden Weisen erkennen lassen? Verblassen nicht die Denkschablonen der viel später ans Licht gebrachten freudianischen Psychologie zur Jämmerlichkeit vor den Wahrheiten, die uns vier knappe, behutsam hingetupfte Bläserakkorde verraten können, wie sie in Ferrandos A-Dur-Arie in „Così fan tutte“ erklingen? Den ganzen wunderbaren Monolog über das Wesen der Liebe lang haben den Tenor nur Streichinstrumente begleitet. Und jetzt, wo er dazu ansetzt, seine erste Melodie wiederzufinden, diese vier Akkorde. Kleine akustische Wermutströpfchen. Man nimmt sie kaum bewusst wahr, doch träufeln sie Melancholie in unser Gemüt.

Träumer Ferrando, glaubst du wirklich, du könntest, wenn du über die Liebe philosophierst, deine Melodie ein zweites Mal singen, wie sie anfangs war? Einen Gedanken, der längst weitergedacht ist, ein zweites Mal denken?

Der Klang der großen Verwandlung

Das ist wie die großen Verwandlung Taminos angesichts eines „bezaubernd schönen“ Bildnisses. Da kann, da darf kein Ton sich wiederholen. Auch bei der Angebeteten selbst, der so tiefe Verwundungen zugefügt worden sind, wird es sich – sozusagen in der entgegengesetzten Bewegung – so verhalten. Und es versagt ihr dann irgendwann die Stimme: Mozarts Orchesternachspiele flößen uns das Wissen ein um die Abgründe, vor deren Anblick die Sprache versagt. Die Abgründe, in die Pamina während ihrer g-Moll-Arie versinkt. „Das ist mehr als Tod“, hat sie zuvor gesagt.

Das ist das Geheimnis: „Mehr als Tod“ – auf solche Entgrenzung machen sich selbst wagemutige Nachfolger des Herrn aus der Berggasse nicht den holprigsten Reim. Aber Mozart hat sie komponiert. Es ist vielleicht kein Zufall, dass wir von Sigmund Freud Fotografien besitzen dürfen...

Mozartwoche Salzburg, bis 3. Februar. Informationen: www.mozarteum.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2013)

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