"Spiegelgrund": Erinnerung an NS-Gräuel auf dem Steinhof

Spiegelgrund Erinnerung NSGraeuel Steinhof
Spiegelgrund Erinnerung NSGraeuel Steinhof(c) AP (Ronald Zak)
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Nicht mit einer der üblichen Gedenkveranstaltungen, sondern mit der Uraufführung von Peter Androschs Operntriptychon "Spiegelgrund" beging das Parlament den Holocaust-Gedenktag.

Am 27.Jänner 1945 wurde das Konzentrationslager Buchenwald-Birkenau befreit. 2005 haben die Vereinten Nationen diesen Tag zum Internationalen Holocaust-Gedenktag erklärt. Auch für den 50-jährigen, in Linz und Wien ausgebildeten oberösterreichischen Komponisten Peter Androsch ein wichtiges Datum: In Buchenwald kam 1939 sein Urgroßvater Karl Posch grausam zu Tode, nachdem ihn die Nazis verschleppt und in verschiedene Konzentrationslager gebracht hatten.

Seit er davon weiß, beschäftigt ihn dieses Thema. Davon zeugen u.a. seine Chorinstallation „Bellum Docet Omnia“, die von der Ermordung Erich Ohsers durch Nazi-Schergen berichtende Kammeroper „Komplizierte Tiere“ und die Musik zu Andreas Grubers preisgekröntem Film „Hasenjagd“.

„Spiegel sind auch Fenster in eine andere Welt“: So legt Androsch eine Spur zum Verständnis seines zum Holocaust-Gedenken im historischen Sitzungssaal des Parlaments uraufgeführten Operntriptychons, das sich ebenso als Opernoratorium verstehen lässt. Ausgangspunkt sind die Geschehnisse auf dem Wiener Spiegelgrund, der von den Nazis auf den Wiener Steinhofgründen etablierten Kinderabteilung. Hier wurden im Dritten Reich an die 800 Jugendliche, die wegen ihrer Behinderungen dem Ideal der Machthaber nicht entsprachen, ermordet. Ein Skandal, dass ihre Gehirnpräparate noch Jahrzehnte später für wissenschaftliche Experimente herhalten mussten und erst 2012 ihre späte Bestattung erfolgte.

Entsprechend nimmt das Thema Kind einen breiten Raum im Stück ein. So wird das Kinderlied „Kommt ein Vogel geflogen“, erst im Original und dann verfremdet präsentiert, aus der Hintergründigkeit seines Textes gedeutet. Ihm werden Auszüge aus Gesetzen des antiken Sparta gegenübergestellt, dessen rassistische Haltung zum Vorbild für das nationalsozialistische Denken geworden ist. Im dritten Teil der einstündigen Kammeroper wird die Sphäre der Erinnerung eingeblendet.


Unkonventionelles Ensemble.
Androsch setzt auf ein kleines, mit Cembalo, Flöte, Streichquintett und Schlagwerk unkonventionell zusammengesetztes Ensemble, das die Zwischentöne der Worte eindringlich kommentiert. Knappe Tonfolgen, oft von quälender Monotonie beherrscht, betonen die Anklage. Helle Cembalo- und Flötenpassagen werden durch spröde Streicherkantilenen und das Schlagwerk, das oft unvermittelt in das musikalische Geschehen eingreift, kontrapunktiert. Aphoristisch, als atmosphärischer Einstieg in den jeweils folgenden Text, sind die Zwischenspiele konzipiert. Leitmotivisch dringen immer wieder die Quietschlaute des Karrens durch, auf dem die getöteten Kinder transportiert worden sind.

Karl M. Sibelius, seit dieser Saison Intendant am Theater an der Rott, präsentierte als exzellenter Rezitator die Rahmenhandlung: mit Texten über Steinhof, einem erschütternden Briefdokument einer Mutter, die ihr Kind wieder zurückhaben will, und Ausschnitten aus der berühmten Rede des auch nach der Nazi-Ära erfolgreichen Sportfunktionärs Carl Diem auf dem Berliner Reichssportfeld. Die auf die Sänger aufgeteilten Gesetzestexte fanden in der koloraturensicheren tschechischen Sopranistin Katerina Beranova, der zwischen naiver Anmut und inniger Verzweiflung changierenden, in der Rolle des Kindes agierenden Alexandra Diesterhöft und dem profunden, im Arztkittel auftretenden Bass Robert Holzer engagierte Interpreten. Thomas Kerbl, der auch den Cembalopart virtuos ausführte, sorgte mit seinem akkurat musizierenden Ensemble O9 für das orchestrale Fundament, Ingo Kepl für das subtile Lichtdesign, Alexander Hauer für die koordinierten Auf- und Abgänge der Protagonisten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2013)

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