Pressler solo im Konzerthaus: Schubert, ganz echt

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Der weltberühmte Kammermusiker Menahem Pressler, im Jahr 1939 aus seiner Heimat vertrieben, bringt uns im großen Konzerthaussaal die Erinnerung an die alte deutsche Klaviertradition zurück.

Es war mehr als die Ehrung eines großen alten Mannes, dass sich das Wiener Publikum im großen Konzerthaussaal nach Menahem Presslers Solo-Recital erhob. Wir haben das Comeback des 84-jährigen Horowitz erlebt und den 100-jährigen Mieczyslav Horszowski – beide haben uns musikalische Geheimnisse verraten, die nur altgediente Musiker enträtseln können. Doch als Menahem Pressler am vergangenen Montag Schubert spielte, oder besser: als er uns die beiden umfangreichen Geschichten der Sonaten in G- und in B-Dur kurzweilig erzählte, da schlug er einen Ton an, der lang schon verloren geglaubt war, einen Ton, wie wir ihn zuletzt vielleicht noch von Wilhelm Kempff vernehmen konnten – in den Siebzigerjahren bei Beethoven.

Menahem Pressler Schubert spielen zu hören, fein abgemischt in der Klanggebung, ganz behutsam, mit goldrichtigen Nuancierungen der Phrasierung, das heißt, die Erinnerung an die alte deutsche Klaviertradition noch einmal aufleben zu lassen, längst verloren geglaubtes Wissen um das Wesen harmonischer Rückungen und des Prinzips der Wiederkehr: Ich kann mich nicht erinnern, den Eintritt einer Reprise selbstverständlicher, tröstlicher erlebt zu haben als Pressler das in den Stirnsätzen der beiden Sonaten zu modellieren wusste, scheinbar absichtslos, aber alles andere denn zufällig.

Klavierspiel ohne jede eitle Geste, ganz aus dem introvertierten Charakter von Schuberts musikalischem Empfinden geboren – es lässt uns auch spüren, wie unerhört das für die Zeitgenossen gewesen sein muss, wenn der Komponist in seiner Fabulierlust (im Finale von D 960) plötzlich Polka zu tanzen beginnt, gar nicht derb, aber rhythmisch pointiert, verschmitzt, mit hintergründigem Humor. Man spürt, wo Mahler später überhaupt den Mut hernahm zu solcher Zeichensetzung; und wie natürlich das klingen kann, wenn einer stilsicher den Dialekt beherrscht, den spezifischen Tonfall, der sich im Mahlstrom der Allerwelts-Virtuosität längst verloren zu haben schien.

Gewiss, wir haben kraftvollere Akzente in den kurzen akkordischen Passagen beider Sonaten hören können, aber die 40 Minuten drumherum mit ihren vielen zarten Zwischentönen? Und apropos Technik: Welche Stimmentrennung allein in der linken Hand! Welche Fähigkeit, zwei, drei Gesangslinien ineinander zu verflechten. Der singende Ton . . .

1939 hat Menahem Pressler seine Heimat verlassen müssen. Er hat als Mitglied des Beaux Arts Trios die Welt bereist – jetzt bringt er als Solist etwas zurück, was er einst im Herzen mitgenommen hat; und woran man gern und mit großer Rührung noch einmal erinnert wird. Die Ehrenbekundung geschah aus Dankbarkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2013)

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