Josefstadt: Der Theaterschalk triumphiert

Josefstadt Theaterschalk triumphiert
Josefstadt Theaterschalk triumphiertMoritz Schell
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„Forever Young“, die neue Uraufführung von Franz Wittenbrink, verjüngt Ensemble wie Publikum. Otto Schenk entzückt das Publikum. Das Plakat mit Po ärgert manche.

Franz Wittenbrink hat wieder zugeschlagen. Der Komponist, Pianist und Arrangeur ist ein Spezialist fürs Entertainment. Ob Sekretärinnen, Mozart oder Würstelstand, Wittenbrink verarbeitet alles zu bunten Abenden. Diese sind beliebt, erstens, weil das Publikum teilweise genug hat von moralinsaurer Weltverbesserung im Gefolge der 1968er-Revolution, zweitens, weil die Theater nur mehr selten Subventionserhöhungen bekommen und daher verlässliche Kassenschlager brauchen. Der Schalk triumphiert also, immer öfter.

Wittenbrinks „Forever Young“, seit Donnerstag in der Josefstadt zu sehen, ist als Uraufführung ausgeschildert. Darunter stellt man sich Substanzielleres vor als eine Zusammenstellung neuer und alter Songs. Der Schauplatz ist, wie überraschend, ein Wiener Kaffeehaus, in dem sich Senioren mit Schachspiel und Cognac die Zeit vertreiben. Zum Glück schneien auch einige Damen herein. Bei dieser Produktion parodiert sich die Josefstadt selbst als Theater abseits der Zeitläufte. Seit geraumer Weile versucht sie sich zwar zu erneuern, auch mit Erfolg. Aber man erinnert sich gern an die alten Zeiten, als die Devise lautete: Mag die Welt untergehen, in der Josefstadt ändert sich so wenig wie in manchen Wiener Cafés – mit ihren vergilbten Wandbespannungen, dem trüben Licht, dem Klavier. Dort hält das Leben seit gefühlten 150 Jahren den Atem an.

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Schenk als russischer Lohengrin

Die ersten 15 Minuten des Abends sind mühsam, dann macht es plötzlich Klick, und man ist einfach gezwungen, Nachsicht zu üben. Von da an geht es tatsächlich bergauf. Das Publikum freut sich sowieso über alles, was lustig ist und lustig in dem Doppelsinn, den das Wort im Wiener Dialekt hat, geht es zu. Dieses Theater-Vehikel schnauft und kracht, es ist so altmodisch, dass man sich manchmal nicht entscheiden kann: Ist das jetzt jenseits, surreal oder bloß peinlich? Aber Wittenbrinks Musikalität und programmatische Spannweite sind einmal mehr bewundernswert. Britney Spears, Billy Joel, Rainhard Fendrich, Richard Wagner, Purcell, Paul Burkhard, Richard Rodgers, Cole Porter – alles wird auf den Thespis-Karren geladen, einmal durch die große Wittenbrink-Walze gedreht, und schon klingt es wie neu oder anders als gewohnt. 43 Musiknummern! Ein Balanceakt zwischen Heiterkeit und Melancholie, Bachs „Komm süßer Tod“, Schubert, selbst Rilke fehlen nicht.

Die Mädchen sind fast perfekt: Sona MacDonald mit ihrer immer dunkler, dramatischer werdenden Blues-Stimme als „Schwarze Witwe“ in Grün; Ruth Brauer-Kvam als Pflegerin aus Montenegro mit Punk-Frisur und Strickzeug zeigt das wildeste Temperament; Eva Mayer absolviert atemberaubend die zungenbrecherischen Elemente für ihren Chemietest als Franzi. Diese ist noch Schülerin, das Café ihr zweites Wohnzimmer. Hier waltet ihr Onkel Leo. Otto Schenks Bühnenpräsenz scheint noch zu wachsen, was fast nicht mehr möglich ist. Hier gibt er eine Mischung aus Chaplin, Nestroy und Hans Moser, die alle drei Herren im Grab vor Neid erblassen lassen könnte. Schenk singt die Gralserzählung auf Russisch, kippt Slibowitz, spielt Hamlet mit einem Sprachfehler, unternimmt einen Ausflug in die Teilchenphysik – und am Schluss trägt er unser aller Schenk-Lieblingslied vor: Das Glück is a Vogerl. Das Ganze ist unbeschreiblich, obwohl es sich jetzt gewiss jeder, der das liest, lebhaft vorstellen kann.

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Kurt Sobotka gefällt mit seinem Sarkasmus und erinnert mit sicherem Pointen-Service an die legendäre „Guglhupf“-Kabarettsendung im Radio. Gideon Singer berührt mit jüdischen Liedern. Albert Rueprecht tut als Schwerenöter des Guten zu viel – und dies gilt auch für Toni Slama. Letztlich ist die Patina dieses Abends seine Qualität. Bewundernswert ist die handwerkliche Perfektion inklusive Wittenbrinks flotter Begleitung, die nur selten die Herren überfordert. Wie viele über Achtzigjährige – vier der fünf Herren sind in diesem fortgeschrittenen Alter – würden so eine Tour de Force bestehen?

Für „Forever Young“ wirbt ein Plakat, auf dem Schenk Anstalten macht, eine junge Dame (Eva Meyer) mit kurzem Rock und pinkfarbener Unterhose zu versohlen, was in Anbetracht „brüder-licher“ Männerfantasien und der derzeit laufenden Sexismus-Diskussion manche aufregt. Geschmacklich ist das Plakat nicht die beste Idee gewesen. Das Theater in der Josefstadt hat solche billigen Gags nicht notwendig, sein niveauvolles Publikum schon gar nicht. Aber zu viel Aufhebens muss man wegen des kleinen Fauxpas auch nicht machen. Es gibt wahrlich Schlimmeres, gerade in der Werbung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2013)

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