Kabale und Säure im Bolschoj-Theater

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Konkurrenz innerhalb der Tanztruppe könnte das Motiv für den Säureanschlag auf Ballettdirektor Sergej Filin sein. Er soll am Sonntag aus dem Spital entlassen werden.

Wien/Moskau. Nach außen hin versucht das Bolschoj-Theater zwei Wochen nach dem Säureangriff auf seinen künstlerischen Leiter Sergej Filin Normalität zu signalisieren. Doch ganz gelingt das nicht. Ausgerechnet die prestigeträchtige Premiere von Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“ musste gestern auf unbestimmte Zeit verschoben werden. Das Ensemble und der britische Choreograf Wayne McGregor hätten sich darauf geeinigt, das „Frühlingsopfer“ aus dem Jahre 1913, das McGregor zeitgenössisch inszenieren wollte, erst nach der Genesung Filins zu zeigen. Ursprünglich war die Aufführung für Ende März geplant worden.

Dass Strawinskys „Frühlingsopfer“ nun verschoben werden muss, ist mehr als nur eine Randnotiz. Seit der Ballettmeister Sergej Filin in der Nacht zum 18. Jänner von zwei Unbekannten bei der Heimkehr von einer Party vor seiner Haustür mit Säure überschüttet wurde, vergeht kaum ein Tag ohne Nachrichten aus der „Schlangengrube“, wie viele das „Große Theater“ mittlerweile bezeichnen.

Behandlung in Deutschland

Filin dürfte indes auf dem Weg der Besserung sein – trotz Verätzungen dritten Grades und schweren Verletzungen an den Augen. Mehrere russische Medien berichtete gestern, dass der Ballettmeister und frühere Tänzer am Sonntag aus dem Moskauer Spital Nummer 36 entlassen werden soll. Er ist bereits mehrmals an den Augen operiert worden, wobei noch unklar ist, ob die Sehfähigkeit auf dem rechten Auge erhalten werden kann. Filins weitere Behandlung solle im deutschen Aachen erfolgen; Anfang nächster Woche soll der 42-Jährige in die deutsche Stadt reisen.

Indessen berichtete eine weitere Tänzerin aus der Bolschoj-Truppe von Drohungen. Swetlana Lukina, die sich seit einiger Zeit in Kanada aufhält, erklärte, sie habe Angst nach Moskau zurückzukehren. Lukina berichtete der Zeitung „Izwestia“ von Hacker-Angriffen auf ihr Facebook-Profil; es ist allerdings anzunehmen, dass die vermeintlichen Drohungen mit einem Streit ihres Ehemannes mit einem Geschäftspartner zu tun haben. Sie habe Filin mitgeteilt, dass sie bedroht werde, sagte Lukina am Mittwoch. Der habe ihr ausrichten lassen, dass man nicht die Mittel habe, um ihre Sicherheit zu gewährleisten. Auch Filin gab gegenüber Ermittlern an, er habe in den Wochen vor dem Anschlag Drohanrufe erhalten, seine Facebook-Seite sei gehackt worden.

Über das Anschlagsmotiv wird indes noch immer gerätselt. Die Versionen reichen von Handel mit Eintrittskarten zu überteuerten Preisen über mögliche enttäuschte Liebhaber bis hin zu einer vergifteten Atmosphäre der Konkurrenz, die innerhalb der 300-köpfigen Tänzertruppe geherrscht habe.

Vielen Bürgern gilt das Bolschoj-Theater als Inbegriff der schönen Künste. Die niederen Leidenschaften, die bei dem Anschlag eine Rolle gespielt haben dürften, werden daher als Angriff auf die russische Kultur selbst interpretiert. Andererseits ist das Bolschoj-Theater geradezu berühmt-berüchtigt dafür, eine Bühne zu sein, auf der auch Machtspiele ausgetragen werden. Die Liste der Intrigen von Tänzern gegen andere Tänzer, von Tänzern gegen Direktoren, ja sogar von Fans eines Balletttänzers gegen die Anhänger eines anderen ist lang.

Skandal wegen Pornofotos

2005 wurde die angeblich „zu dicke“ Tänzerin Anastasija Wolotschkowa hinausgeworfen. Auch beim Abgang des Tänzerpaares Natalia Ossipowa und Iwan Wassilew 2011 raunte das Kulturpublikum, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugehe. Manche verfechten nun die These, dass Filins Widersacher, der Solist Nikolaj Ziskaridse, hinter dem Anschlag stecke. Dabei ist auch Filins Bestellungsgeschichte pikant: Er wurde 2011 Ballettdirektor, nachdem sein potenzieller Vorgänger Gennadij Janin den Posten nicht antreten konnte: Pornografische Fotos, die angeblich ihn zeigten, vereitelten die Bestellung. Zur kommissarischen Ballett-Leiterin wurde nun übrigens Filins Exgattin Galina Stepanenko bestellt.

Der letzte Akt des großen Theaters ist wohl noch nicht zu Ende.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2013)

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