Musikverein: Brahms in den Brahmssaal!

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Geige oder Bratsche – Julian Rachlin ist's einerlei. Gemeinsam mit Itamar Golan vermaß er im Wiener Musikverein den Kosmos Brahms.

Ein einziger wirklicher Fehler wurde an diesem Montag gemacht, und der ist dem Musikverein anzulasten: Dass man Julian Rachlins auf zwei Abende angelegtes Brahms-Panorama – alle Violin- und Violasonaten – im Goldenen Saal angesetzt hat und nicht im intimeren Rahmen des Brahmssaals. Das hat nichts mit dem Namen zu tun, sondern damit, dass der für Kammermusik schlicht besser geeignet ist. Das gilt umso mehr, wenn man so einen introvertierten, zurückgenommenen Zugang wählt wie Rachlin.

Schon die ersten Takte der G-Dur-Violinsonate deuteten an, dass dies kein „glatter“, gut geölt und routiniert abschnurrender Brahms-Abend werden würde, sondern einer der subtilen Zwischentöne: Rachlin setzt sein tastendes Kopfthema eine Idee neben die Spur, die sein langjähriger fabelhafter Duopartner Itamar Golan am Flügel zieht – minimalinvasiv, aber durch die produktive Irritation von großer Wirkung.

Es war, als würde der Wahlwiener die Töne nicht den Noten entnehmen sondern sie geradewegs aus dem Äther fischen, um sie unter seinen Fingern zu verdichten. Zuerst einmal für sich selbst, denn Rachlin schien an diesem Abend mehr in sein Instrument hineinzuspielen als aus ihm heraus, als wollte er mit den brahmsschen Kostbarkeiten allein sein. Konsequent mied er jeden auftrumpfenden Gestus, besiedelte hauptsächlich Regionen vom Mezzopiano abwärts, brachte hier allerdings Abstufungen zu Gehör, die man kaum für möglich halten würde. Das Gleiche gilt für sein Farbenspiel: Wie Rachlin es versteht, mitten in einer Phrase deren Farbton um eine Nuance zu wandeln und dadurch scheinbar einfache Tonfolgen ins Mehrdeutige zu ziehen und für kurze Momente den Blick in Abgründe zu öffnen, das ist schon große Kunstfertigkeit.

Keinerlei Streuungsverluste

Kunstfertig auch, wie er ohne intonatorische Streuungsverluste den fliegenden Wechsel auf die Bratsche bewältigte, die ihm längst kein zweites Instrument mehr ist, sondern ein zweites erstes. Und was für ein Instrument! Eine in allen Registern so wohlklingende Viola wie die von Nicola Bergonzi (1786), die Rachlin für die f-Moll-Sonate zur Hand nahm, erlebt man selten. Auch hier blieb er zurückhaltend, gab gerade so viel Volumen wie nötig, zwang zum genauen Hinhören. Und falls sich schon jemand Sorgen um den angriffigen, musikantischen Rachlin gemacht haben sollte: Auch der existiert noch, er gab mit dem Scherzo aus der F-A-E-Sonate (vom Motto des Widmungsträgers Joseph Joachim: „Frei, aber einsam“) ein kräftiges Lebenszeichen.  hd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.02.2013)

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