Walzerseligkeit unter dem Hakenkreuz

Walzerseligkeit unter Hakenkreuz
Walzerseligkeit unter Hakenkreuz(c) ORF
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Die Wiener Philharmoniker öffnen ihr Archiv - im Internet. Ab 12.März stehen alle von einer Historikerkommission als relevant erkannten Dokumente über das Orchester in der Zeit von 1938 bis 1945 online.

Kaum eine internationale Pressekonferenz, bei der die Wiener Philharmoniker – etwa auf Gastspielreisen – über Musik sprechen können. Pünktlich Mitte Dezember werden Jahr für Jahr Leserbriefe lanciert, die auf die Ursprünge des populären Neujahrskonzertes in der Zeit des Nationalsozialismus verweisen. Historiker beschweren sich, dass sie keinen Zugang zum Archiv der Philharmoniker erhalten. Und jüngst wurde eine Begebenheit aus dem Leben des ehemaligen Wiener NS-Gauleiters Baldur von Schirach wieder thematisiert.

Das Orchester hätte dem als Kriegsverbrecher verurteilten Mann nach Absitzen seiner Haftstrafe den Ehrenring, der ihm in den frühen Vierzigerjahren verliehen worden war, zurückgegeben.

Trompeter gab Baldur von Schirach Ring

Die Geschichte ist längst aktenkundig, denn der Sohn Schirachs hat sie in der von ihm verfassten Biografie seines Vaters erzählt. Was er nicht erzählt hat: wer den Ring zurückgegeben hat. Dieses „Geheimnis" wird in der für Montag angsetzten ORF-Dokumentation (ORF2, 22.50 Uhr) nun gelüftet. Es war Helmut Wobisch, exzellenter Trompeter, philharmonischer Funktionär und auch Mitbegründer des Carinthischen Sommers.

Mit Freischaltung der philharmonischen Archivbestände am Gedenktag des Einmarschs der Hitler-Truppen, dem 12.März, stehen Interessenten alle Quellen offen, die eine von Oliver Rathkolb angeführte Kommission aus Zeithistorikern aus den philharmonischen Datenbeständen, Manuskripten und Protokollen als relevant herausgefiltert hat (>>> Auszüge aus dem Historiker-Bericht).

Den Forschern stand das philharmonische Archiv offen. Ob wirklich Neues zutage gefördert werden konnte, können nun auch Hobbyforscher leicht nachprüfen. Nimmt man die Dokumentation als Richtschnur, dürfte, wer das Buch des Orchestervorstands, Clemens Hellsberg, „Demokratie der Könige“, kennt, keine großen Überraschungen erleben. Was bei Publikation des Bandes 1992 bekannt war, ist hier bereits akribisch aufgelistet.

Es ist auch auf Hellsbergs Betreiben zurückzuführen, dass 1988 in einem philharmonischen Programmheft aus Anlass des 50. Jahrestages des sogenannten „Anschlusses“ der Musikerkollegen gedacht wurde, die 1938 das Orchester verlassen mussten.

Einhaltung der „Rassengesetze“

Die traurige Tatsache, dass diese Entlassungen von langer Hand vorbereitet waren, dass Listen existierten, welche Kollegen den NS-Rassegesetzen nicht „entsprachen“, gehört zu den bitteren Pillen der Wiener Musikgeschichte. Hellsberg selbst bekannte mehrfach, „nicht verstehen“ zu können, wie in einer „seit ihrer Gründung, 1842, basisdemokratisch organisierten Musikergemeinschaft so viele einer totalitären Ideologie erliegen konnten“.

Tatsächlich waren viele Philharmoniker bereits sogenannte illegale Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei. Nach 1938 gehörten mehr als 50 Prozent der Musiker der Partei an, einige sogar Verbänden wie der SS. Das lag bedenklich weit über dem Durchschnitt in der Bevölkerung, der kaum mehr als zehn Prozent betrug.

Bei der Durchforstung des Archivs haben die Zeithistoriker aber offenkundig nicht nur belastendes Material gefunden, sondern auch Dokumente, dass es nach 1945 Versuche gegeben hat, Kontakte mit den überlebenden Opfern zu knüpfen, die freilich – das wird auch in der ORF-Dokumentation zum Ausdruck kommen – nach allem, was geschehen war, wenig Lust verspürten, nach Wien zurückzukehren.

Die klaren „Aufmarschpläne“ der illegalen Parteimitglieder nach erfolgtem „Anschluss“, die eine reibungslose Eingliederung des Orchesters in den nationalsozialistischen Kulturbetrieb gewährleisteten, waren wohl die erste bittere Erfahrung für die jüdischen Orchestermusiker.

Die ebenfalls nachweislichen Bemühungen führender Funktionäre der gleichgeschalteten Orchesterleitung, vertriebene Kollegen vor der Vernichtung zu bewahren, entpuppten sich mehrheitlich als untauglich. Erfolgreicher war man beim Arrangement mit der NS-Politik. Den Interventionen des Gauleiters Baldur von Schirach war es zu verdanken, dass die philharmonische Geschichte nach der Eingliederung ins „Reich“ weitergehen konnte – und die Musiker auch in den letzten Kriegswochen nicht zur militärischen Verwendung „freigegeben“ wurden – nicht zuletzt dieses Faktum könnte für die dankbare Geste der Ehrenring-Rückgabe verantwortlich sein.

Ein Orchester in SS-Händen

Im Herbst 1938 war es dem sofort eingesetzten neuen Orchesterleiter Wilhelm Jerger, der SS-Mitglied war, gelungen, die bereits beantragte Löschung des Vereins „Wiener Philharmoniker“ zu verhindern. Den Preis dafür bezahlten zunächst sieben Mitglieder des Orchesters, die dem sogenannten „Arierparagrafen“ nicht entsprachen. Sie wurden sofort ausgeschlossen.

Darunter befanden sich – um nur eine der Tragödien zu erwähnen – prominente Namen wie jener des Konzertmeisters Arnold Rosé, dessen Tochter Alma es gelang, den Vater nach England emigrieren zu lassen. Sie selbst fiel in Holland in die Hände der Deutschen und wurde im Konzentrationslager, wo sie zunächst als Leiterin des „Mädchenorchesters“ zahlreichen Musikerinnen das Leben retten konnte, ermordet.

Philharmoniker-Doku im ORF

„Schatten der Vergangenheit“ heißt der halbstündige Dokumentarfilm von Robert Neumüller über „Die Wiener Philharmoniker im Nationalsozialismus“, der heute, Montag, um 22.50 Uhr auf ORF2 ausgestrahlt wird. Der „Kulturmontag“-Schwerpunkt „75 Jahre sogenannter ,Anschluss‘“ beginnt um 22.30 Uhr, um 23.45 Uhr läuft dazu weiters der Spielfilm „Vielleicht in einem anderen Leben“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2013)

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