Thielemann: "Natürlich dirigiere ich viel Wagner"

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Christian Thielemann, einst Karajan-Assistent und ab sofort Leiter der Osterfestspiele Salzburg, über Wagner und Puccini, den Sinn von Festivals und Ähnlichkeiten von Orchestern in Wien und Dresden.

Christian Thielemann dirigiert am Samstag erstmals eine Premiere anlässlich der Osterfestspiele in Salzburg: „Parsifal“. Der Berliner Dirigent tritt damit die Nachfolge von Sir Simon Rattle als künstlerischer Leiter des Festivals, bei dem er schon zu Zeiten des Gründervaters, Herbert von Karajan, künstlerisch mitgewirkt hat, an. Im Gespräch mit der „Presse“ erinnert er sich auch an die Zeiten als Karajan-Assistent im Festspielhaus.

Was ist Ihnen von damals, als Sie während der „Parsifal“-Einstudierung mit von der Partie waren, in Erinnerung geblieben? Was konnte man von Karajan lernen?

Ich war damals noch wahnsinnig jung, Anfang 20, als ich erstmals bei den Osterfestspielen Salzburg war und Karajan bei der Einstudierung von „Parsifal“ assistierte. Eigentlich war ich noch zu jung, ich konnte nur staunend beobachten, wie leicht Karajan die Dinge fielen. Er strahlte eine ungemeine Ruhe und Konzentration aus, die sich auf das gesamte Produktionsteam übertrug. Das war erstaunlich, half mir aber nicht wirklich zu verstehen, wie er rein handwerklich bestimmte Probleme löste. Seine Souveränität war geradezu atemberaubend.

Nun stehen Sie selbst am Pult. „Parsifal“ haben Sie schon in Berlin, Wien und Bayreuth dirigiert. Wagner und kein Ende, möchte man meinen. Was macht diesen Komponisten so faszinierend, dass es offenbar nie zu viel wird? Sie dirigieren ja seit vielen Jahren vorrangig Wagner.

Da muss ich widersprechen. Natürlich dirigiere ich viel Wagner, weil ich ihn über alle Maßen bewundere und schätze. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass man häufig von Veranstaltern auf ein bestimmtes Repertoire festgelegt wird, das einen in einer bestimmten Phase der Karriereentwicklung weitergebracht hat. Dann werden sie ganz schnell auch in bestimmte Schubladen geschoben. Ich liebe aber genauso die italienische Oper, habe erst vor zwei Wochen in Dresden Puccinis „Manon Lescaut“ dirigiert, habe ein Faible für Operette, die ich zu Beginn meiner Karriere rauf und runter dirigiert habe, und bin viel neugieriger, als viele vermuten.

Wagner wünschte, dass „Parsifal“ nur in Bayreuth aufgeführt wird. Ist es für einen treuen Kapellmeister ein Problem, gegen den ausdrücklichen Wunsch des Komponisten zu handeln?

Nein, da bin ich völlig undogmatisch. Sie dürfen ja nicht vergessen, dass die Wünsche von Komponisten immer an ihre Zeit gebunden sind. Wagner ist nun aber seit 130 Jahren tot, viele Dinge haben sich weiterentwickelt. Auch anderswo als in Bayreuth kann man Wagner hervorragend aufführen, wobei die Bedingungen in Bayreuth natürlich einzigartig sind. Aber es wäre doch auch schade, wenn dieses großartige Werk nur für eine verschwindend geringe Anzahl von Menschen in Bayreuth zu hören wäre.

Wie weit greift ein musikalischer Leiter in Regiefragen ein? Ich erinnere mich, dass Sie in Bayreuth vor dem „Ring“ peinlich genau darauf geachtet haben, dass der Vorhang nicht zu früh oder zu spät hochgeht.

Das sind ja relativ kleine Eingriffe, wenn ich darauf achte, wann der Vorhang nach oben fährt. Wenngleich sehr wichtige. Hier in Salzburg halten wir es übrigens auch so, dass das Vorspiel zu „Parsifal“ vor heruntergefahrenem Vorhang erklingen wird. So taucht der Zuhörer doch viel tiefer in die Musik ein. Ganz generell sind die Möglichkeiten, in die Regie einzugreifen, natürlich limitiert, vor allem, wenn die Proben schon begonnen haben. Dann ist es für tiefgreifende Einschnitte einfach zu spät. In der Regel arbeite ich aber nur mit solchen Regisseuren zusammen, von denen ich weiß, dass sie die Musik nicht weniger wertschätzen als ich. Damit bin ich bislang immer gut gefahren.

Wie prägend waren Ihre ersten Wagner-Eindrücke als Kind?

Das erste Mal Wagner hörte ich in einer konzertanten Aufführung der Berliner Philharmoniker mit Herbert von Karajan, „Walküre“, erster Akt, es muss wohl 1967 gewesen sein. Ich war acht Jahre alt. Dass meine Eltern mich mitgenommen haben, finde ich heute noch erstaunlich. Ich habe das gehört und war platt. Das nächste Mal war es eine Aufführung der „Meistersinger“ in der Deutschen Oper. Ich fand den dritten Akt furchtbar langweilig, was meinen Vater ganz schön in Harnisch brachte. Bald darauf erlebte ich meinen ersten „Tristan“. Das schlug ein wie ein Blitz, und seitdem bin ich von Wagner nicht mehr losgekommen.

Es gibt aber auch Repertoire, das Sie in jüngster Zeit für sich entdeckt haben und das Sie in nächster Zukunft erarbeiten (oder wieder aus Ihrem persönlichen Fundus hervorholen) möchten.

In Dresden haben wir damit begonnen, Raritäten ins Programm zu nehmen, die – völlig zu Unrecht übrigens – in Vergessenheit geraten sind. Ich denke da beispielsweise an ganz wunderbare Stücke von Ferruccio Busoni, die wir in den vergangenen beiden Jahren gespielt haben, aber auch an Reger oder das Klavierkonzert von Pfitzner. Für mich entdeckt habe ich auch die Symphonischen Dichtungen von Liszt, ganz tolle Stücke, die ich mir nach und nach erschließen möchte.

Sie haben die ersten Monate Ihrer Amtszeit in Dresden hinter sich. Da darf man vielleicht um ein paar Worte über die Zusammenarbeit mit der Staatskapelle bitten – und über die Unterschiede zwischen Traditionsorchestern von Spitzenformat wie den Dresdnern und den Wienern.

Für mich sind die Dresdner und Wiener wie Bruder und Schwester. Zwei Orchester, die sich erstaunlich ähnlich sind. Das hat zum einen sicherlich damit zu tun, dass beide Orchester eben auch Opern- und nicht nur Konzertorchester sind. Zum anderen verbindet beide Orchester die geografische Nähe zu Böhmen, einer Region, die ungeheuer musikantisch ist, und ich müsste mich sehr täuschen, wenn diese Einflüsse in beiden Orchestern nicht nachzuweisen wären. Die Arbeit in Dresden empfinde ich als überaus angenehm. Das Orchester weiß, was es kann, ist selbstbewusst, aber dabei immer gelassen und entspannt. Das schafft eine sehr konzentrierte und effektive Arbeitsatmosphäre.

Festspiele anno 2013 und in der Zukunft – was blieb von Karajans Osterfestspiel-Gedanken, was ist für Sie die Grundidee, Festspiele zu veranstalten?

Als Anspruch für die Salzburger Osterfestspiele soll auch in Zukunft gelten: maximale Qualität. Hier soll etwas entstehen, was nur in Salzburg aufgrund der einzigartigen Struktur dieses Festivals möglich ist. Natürlich sind die Ticketpreise bei den Osterfestspielen sehr hoch. Damit verbunden sind aber auch außergewöhnlich hohe Ansprüche vonseiten des Publikums. Das Beste ist hier immer gerade gut genug. Allerdings haben wir mit dem „Konzert für Salzburg“ auch ein Zeichen gesetzt. Mit deutlich günstigeren Preisen wollen wir uns einem Publikum öffnen, das sich die regulären Eintrittskarten vielleicht nicht leisten kann.

Erstmals gibt es eine TV-Übertragung von den Osterfestspielen. Das bringt uns zur Frage, wie man neues, vor allem junges Publikum für die Oper gewinnen kann?

Ich bin da nicht so pessimistisch wie viele Ihrer Kollegen. Statistiken des Deutschen Bühnenvereins zeigen doch, dass die Besucherzahlen an Theatern und Konzerthäusern eher steigen als fallen. Inzwischen haben auch alle Kulturträger die Einsicht gewonnen, sich aktiv um nachwachsendes Publikum kümmern zu müssen. Und es gibt ja viele durchaus interessante Ansätze, neues Publikum zu generieren. Für unverzichtbar halte ich aber die Vermittlungsrolle der Eltern. Was zu Hause nicht geschieht, kann durch Schule, Theater und Orchester ganz sicher nicht zur Gänze kompensiert werden.

Auf einen Blick

Christian Thielemann, geb. 1959 in Berlin, begann seine Laufbahn 1978 als Korrepetitor in der Deutschen Oper seiner Heimatstadt.

Kapellmeister wurde Thielemann 1985 in Düsseldorf, 1988 wechselte er nach Nürnberg.

Chefdirigent war er an der Deutschen Oper, bei den Münchner Philharmonikern. In Bayreuth ist er musikalischer Berater der Wagner-Schwestern. Als Dresdner GMD gestaltet er mit der dortigen Staatskapelle ab sofort auch die Salzburger Osterfestspiele.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2013)

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