Staatsoper: Beim "Wozzeck" muss Wien sich selbst finden

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Franz Welser-Möst hat die nach wie vor taugliche Alban-Berg-Inszenierung von Adolf Dresen musikalisch neu einstudiert - mit einem vokal mehrheitlich bemerkenswerten Ensemble.

Es hilft nichts, Alban Bergs „Wozzeck“ gilt immer noch als Gipfelwerk der sogenannten Neuen Musik. Ein Gipfelwerk, fürwahr. Aber eben immer noch „neu“, obwohl die Uraufführung fast 90 Jahre zurückliegt. Immer noch ist die Geschichte von den „armen Leut'“ nicht wirklich repertoiretauglich. Die Wiener Staatsoper hat den „Wozzeck“ jahrelang nicht gespielt. Wenn Franz Welser-Möst jetzt in den Orchestergraben geht, um die Wiederaufnahme zu dirigieren, dann trifft er auf etliche Musiker, die diese Noten erstmals vor sich haben.

Selbstverständlich ist das schade, selbstverständlich gehört – gerade in Wien – dieses Stück in die Dauerausstellung des „Opernmuseums“, wie Richard Strauss das Haus am Ring nicht ohne Grund genannt hat. Wo, wenn nicht in Wien, sollte man wissen, wie Alban Bergs Musik wirklich klingen muss?

Doch ist die Aufführungsgeschichte des „Wozzeck“ hierzulande keineswegs ungebrochen. Vielleicht sollte man daran angesichts einer exzellenten Neueinstudierung einmal erinnern. Eine wienerische Spieltradition für Berg existiert im Gefolge der Berliner Uraufführung unter der Leitung des Wieners und Berg-Vertrauten Erich Kleiber in Wahrheit nur in den Köpfen von Musikhistorikern. Sie begann mit der Erstaufführung unter Clemens Krauss und war in der Folge durch die Namen Heinrich Hollreiser und – vor allem – Karl Böhm sicher in der wissenden Verbundenheit von Interpreten und Komponisten verankert. Mit der Ablöse der geradezu klassischen Inszenierung Oscar Fritz Schuhs war es mit der „Überlieferung“ freilich auch schon zu Ende.

Jenseits der wienerischen Tradition

Berühmte Dirigenten, jeweils die führenden des Hauses, standen bei „Wozzeck“-Wiederaufnahmen am Pult, Claudio Abbado und Seiji Ozawa beispielsweise. Beide hätten als internationale Pultvirtuosen interessante Schlaglichter auf eine wienerische Musizierlinie werfen können. Indes war diese nicht mehr zu finden. Es gibt einen Parallelfall: Bei Mozart hat man die Tradition geradezu mutwillig verspielt, bei Berg ist sie mangels konsequenter Spielplanpolitik sozusagen unterwegs verloren gegangen. Über die Einstudierungsarbeit, die ein Karl Böhm einst in Salzburg und Wien geleistet hat, weiß mangels Vermittlung keiner der heute aktiven Philharmoniker mehr Rechenschaft zu geben.

Wer heute des Generalmusikdirektorenamtes waltet, muss das Gebäude also neu errichten. Das ist keine kleine Aufgabe, auch für Welser-Möst nicht, der doch dank seiner Herkunft und seiner Ausbildung für klingende Austriaca eine gute Hand hat. Spannend also, wie sein erster „Wozzeck“ mit dem Wiener Orchester klingen würde.

Die Probenzeit hat man offenbar sinnvoll genützt. Vor allem einmal spielt man mehrheitlich leise, wie es in der Partitur steht: Berg schreibt ein riesiges Orchester vor, nützt es freilich für unzählige feinsinnige Klangmixturen. Selten einmal ballt sich der Klang zum Fortissimo. Aber auch dort bleibt er, das ist die Force dieser Aufführung, dem Schönheitsideal verpflichtet.

Das ist eben das Wienerische: Berg denkt in harmonischen Kategorien, auch wenn er seine Akkorde frei im tonalen Raum schweben lässt und nicht nach Dur- und Moll-Kriterien organisiert. Mag das als „atonal“ gelten, klingt doch das zweite Zwischenspiel, das zu Maries Soldatenlied überleitet, so wohlig weich und warm wie sonst nur Tröstliches bei Wagner oder Strauss.

Das setzen die Philharmoniker unter Welser-Möst unvergleichlich ins Werk. So durchhörbar, gleichzeitig aber auch so im landläufigen Sinne schön hat „Wozzeck“ seit mehr als einer Generation nicht geklungen. Was zur Wiedergewinnung der völligen Selbstverständlichkeit im Umgang mit dieser Partitur nun noch fehlt, ist die Freiheit beim Phrasieren, beim Herstellen der inneren Zusammenhänge; beispielsweise des Strophenbaus im „Wiegenlied“. Im großen d-Moll-Zwischenspiel war man zuletzt freilich schon ganz im philharmonischen Element: Die Wucht der Schlusskadenz tat ihre Wirkung ohne künstliches Ritardando.

Simon Keenlyside, der Belcanto-Wozzeck

Es gelang also für diesmal, schon mehr als nur die nötigen Grundlagen für die Renaissance eines genuinen Berg-Stils zu schaffen, wie er eben, richtig verstanden, doch nur in Wien möglich wäre. Was zu hören war, grenzte schon ans Außerordentliche, dem auf der Szene jedenfalls der Titelheld ganz und gar zu entsprechen wusste: Simon Keenlyside gibt einen geradezu belcantesken Wozzeck, vokal dem orchestralen Schönheitsideal angemessen, und als Darsteller von mitleiderregender Fahrigkeit, gequält, getrieben, geschunden.

Anne Schwanewilms ist die Marie, phänomenal, was die stimmliche Auslotung der Partie betrifft, bewegend in der Bibelszene – doch leider recht unverständlich in der Diktion. Diesbezüglich steht die gesamte Aufführung unter keinem guten Stern: Deutlich artikulieren nur die beiden Handwerksburschen und der Narr (Markus Pelz, Clemens Unterrainer und Peter Jelosits), sehr gut halten sich auch der Norbert Ernst (Andres) und Monika Bohinec, die wohltönende Margret, völlig unverständlich, wenn auch mit rechtem Heldentenorpotenzial ausgestattet, bleibt Gary Lehmanns Tambourmajor.

Dass man wichtige Partien wie den Doktor und den Hauptmann aus dem Ensemble zu besetzen versucht, ehrt das Haus, funktioniert auch gut bei der Karikatur des irren Arztes, die Wolfgang Bankl liefert, zeigt aber bei Herwig Pecoraros Hauptmann Grenzen auf: Den von Berg hie und da vorgeschriebenen Sprechgesang dehnt er auf allzu weite Partien aus. Wo er zu singen versucht, tut er's oft mit einer Nonchalance gegenüber den vorgeschriebenen Tonhöhen, als wollte er suggerieren, es sei bei dieser Art von Musik ohnehin egal... Womit wir freilich wieder beim grundlegenden Unverständnis wären, das einem großen Wiener Meister gegenüber ja doch bis heute herrscht.

Wozzeck: 27. und 30.März

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.03.2013)

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