Riccardo Muti: „Verdi ist der Komponist der Zukunft“

(c) AP (Russel Daniels)
  • Drucken

Im Verdi-Jahr 2013 dirigiert er Opern des Meisters, die er für unterschätzt hält. Der „Presse“ erklärte er wieso – und sprach über den Papst, die Salzburger Festspiele und die Scala, für die er keinen Intendanten sieht.

Die Presse: Maestro Muti, seit Kurzem gibt es einen neuen Papst, demnächst wird Italien eine neue Regierung bekommen. Was könnte das für die Kultur bedeuten?

Riccardo Muti: Die derzeitige politische Situation in Italien ist so kompliziert, dass ich als einfacher Bürger sie nicht durchschauen kann. Jedenfalls ist sie sehr ernst. Es wäre zu wünschen, dass der kommende Kulturminister Möglichkeiten hat, den kulturellen Institutionen zu helfen. Den neuen Papst kenne ich nicht. So weit sich aus seinen ersten Auftritten und Reden sagen lässt, schätze ich seine Absicht, die Kirche zu ihren eigentlichen Aufgaben zurückzuführen und für ein Ende der dramatischen Entwicklungen der letzten Zeit zu sorgen. Er ist ein Opern- und Tango-Fan und liebt Sport. Seine Eltern stammen aus dem Piemont, die Leute von dort sind solide und sehr stark. Er wirkt eher wie ein Piemonteser als wie ein Argentinier...

Sie waren fast zwei Jahrzehnte Musikdirektor der Mailänder Scala, wie beurteilen Sie die Lage dort?

Ich bin mittlerweile zu weit entfernt, um über alles informiert zu sein, aber ich hoffe, dass es möglich sein wird, einen Intendanten zu finden, der die Geschichte dieses Hauses und seine große Tradition in einem Land wie Italien versteht. Jemand, der diesem Haus nicht die Seele nimmt. Aber im Moment weiß ich nicht, wer das sein könnte.

Was sagen Sie zur Situation bei den Salzburger Festspielen?

Ich habe in mehr als 40 Jahren so viele Wechsel erlebt, angefangen von Bernhard Paumgartner, Karajan etc. Vielleicht spiegelt die Situation Salzburgs die der Welt wider. Ich kann es nicht beurteilen, bin auch kein Österreicher, aber ich hoffe, dass man die Probleme lösen wird, auch in Anbetracht der Tatsache, dass die finanziellen Probleme allerorts ziemlich schwierig sind.

Apropos: Wie sieht es an der römischen Oper aus, deren Musikdirektor auf Lebenszeit Sie sind?

Das ist eine Erfolgsgeschichte. Wir bilanzieren bereits die dritte Saison ausgeglichen. Es gibt ein steigendes Publikumsinteresse, vermehrte Nachfrage nach Karten, auch mit der künstlerischen Qualität geht es nach oben. Das Teatro dell' Opera schließt wieder an seine große Vergangenheit an. Hier wurden immerhin „Tosca“, „Cavalleria rusticana“ und einige Opern von Respighi uraufgeführt. Zu den Dirigenten zählten Erich Kleiber, Karajan, Klemperer, an einem Abend dirigierten Strawinsky und Alfredo Casella...

Diese Saison haben Sie drei Verdi-Opern auf dem Programm, „Simon Boccanegra“, „I due Foscari“ und „Nabucco“, womit Sie – allerdings nur konzertant – bei den Salzburger Festspielen gastieren werden. Warum haben Sie für dieses Verdi-Jahr nicht einige seiner bekannteren Werke ausgewählt?

In dieser Spielzeit wollte ich den Akzent auf Opern setzen, die allgemein als weniger bedeutend angesehen werden. Diese Meinung teile ich nicht. Nach meiner Überzeugung gehören sie zu einem Mosaik und jedes seiner Teile ist wichtig. Ich sehe meine Aufgabe darin, an einem Repertoire zu arbeiten, bei dem sich eingebürgert hat, es in einer vulgären Weise zu spielen. Tatsächlich sind alle Verdi-Opern nobel, nur diese unglückselige Tradition ließ die Aufführungen zur Routine verkommen. Die kommende Saison werde ich mit „Ernani“ eröffnen.

Wie sehen Sie generell dieses Verdi-Jahr?

Das Problem des Verdi-Jahres besteht nicht in der Quantität der Aufführungen, denn Verdi zählt zu den am meisten aufgeführten Komponisten. Es geht um die Frage nach der aktuellen Verdi-Interpretation. Wir können nicht unreflektiert einer Tradition mit ihren guten und schlechten Seiten folgen, sondern müssen uns neu damit auseinandersetzen, Verdi ist der Komponist der Zukunft. Wir haben es längst mit einem Gegensatz zu tun: Auf der einen Seite schaffen Regisseure neue Situationen, die mit der Musik nur wenig zu tun haben, auf der anderen Seite gehen wir in der bisherigen Tradition weiter, ein Widerspruch.

Wie würden Sie Verdis Stil charakterisieren?

Lieber würde ich von einem Verdi-Akzent sprechen. Seine ersten Opern sind mehr mit dem Belcanto verbunden, mit Mercadante, Donizetti, Bellini. Rossini ist ein ganz anderes Feld. Verdi genoss seine frühe musikalische Ausbildung in der Nähe von Parma. Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert waren die Komponisten, die ihm nahestanden. Natürlich kannte er die neapolitanische Schule, aber bis zuletzt setzte er sich mit Streichquartetten von Haydn, Mozart und Beethoven auseinander. Deswegen dringe ich so auf den klassischen Aspekt bei Verdi und kämpfe gegen Vulgarität und Übertreibung an. Verdis Schaffen ist mit einem Fluss vergleichbar, der immer breiter wurde. Man findet keine Widersprüche, aber zahlreiche Unterschiede, denn er experimentierte gern.

Sie haben in der Vergangenheit wiederholt Wagner dirigiert. Lassen sich Wagner und Verdi vergleichen?

Es handelt sich um zwei völlig verschiedene Welten. Bei Verdi findet man diese vertikale Verbindung von Wort und Musik, jedes Wort korrespondiert mit einer bestimmten Note, einem bestimmten Akkord, das Orchester unterstützt im Wesentlichen die Sänger. Ganz anders bei Wagner, er schreibt gewissermaßen Symphonien mit Stimmen. Wagner hat einen theologischen und philosophischen Zugang, Verdi ist immer sehr menschlich. Nur „I due Foscari“ haben ein negatives Ende, sonst schließt jede Verdi-Oper mit der Hoffnung auf ein neues, besseres Leben.

Und wenn Sie sich entscheiden müssten: Verdi oder Wagner?

Wir brauchen beide. Verdi kann unsere Seele vielleicht mehr erwärmen, aber hier spricht ein Italiener. Sicher hätte die Musik ohne Verdi und Wagner eine andere Entwicklung genommen. Wohin? Darüber lässt sich nur spekulieren. Schönberg hat die Musik komplett verändert. Wir haben tausende Komponisten, die nach neuen Wegen trachten, wir hören viele Werke, die interessant sind, aber nicht zu unseren Herzen sprechen. Das ist nicht die Schuld der Komponisten, sondern hängt damit zusammen, dass die Menschheit neue Wege geht. Jedenfalls können wir nicht zur Musik von Puccini zurückgehen. Wir müssen warten, was die Zukunft bringen wird.

Zur Person

Riccardo Muti, 1941 in Neapel geboren, dirigiert seit 1971 regelmäßig bei den Salzburger Festspielen, seit 1973 in der Staatsoper Wien. 1986 folgte er Abbado als Musikdirektor der Scala, 2005 legte er dieses Amt nieder, weil die Belegschaft seinem Kandidaten für den Posten des Intendanten nicht zustimmte. Seit 2011 ist er Musikdirektor der römischen Oper auf Lebenszeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.