"Falstaff", ein alterweiser, großer Spaß

Falstaff alterweiser grosser Spass
Falstaff alterweiser grosser Spass(c) APA/BARBARA GINDL (BARBARA GINDL)
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Salzburger Festspiele. Verdis Oper unter Zubin Mehta, von Damiano Michieletto zwischen Operntraum und Seniorenheimrealität angesiedelt: Ein poetischer, musikalisch glänzender Abend mit Ambrogio Maestri im Zentrum.

Oldies sind Goldies. Giuseppe Verdi stand in den hohen Siebzigern, als er ein zweites Opernprojekt mit seinem „Otello“-Librettisten Arrigo Boito in Angriff nahm: „Falstaff“, die altersweise Komödie über einen alles andere als altersweisen, sondern unverbesserlichen Schwerenöter, der gerade durch seine Torheiten jung gebliebenen ist, geriet dem Duo zum neuerlichen Geniestreich und zählt zu den Kronjuwelen nicht nur des italienischen Repertoires.

Regisseur Damiano Michieletto, im Vorjahr in Salzburg keineswegs nur geliebt für seine aktualisierte „Bohème“, dann viel gelobt für ein souveränes „Trittico“ im Theater an der Wien, verquickt in seiner „Falstaff“-Deutung zwei von Verdis besten Werken: die Shakespeare-Vertonung und jenes Mailänder Altersheim für bedürftige Sänger und Musiker, das der Komponist gestiftet hat. Michieletto ehrt dadurch, die Formulierung drängt sich im Jahr des Verdi-Wagner-Doppeljubiläums auf, nicht bloß die deutschen, sondern unser aller alten Meister.

Höchst stattlich mit guter, feister Figur

Dass er damit gute Geister bannt, davon zeigte sich das Festspielpublikum im Haus für Mozart jubelnd überzeugt – auch wenn Falstaff sich Quälgeistern stellen muss und obwohl der aus Venedig stammende Regie-Jungstar es den Traditionalisten nicht gar so einfach macht. So geht der Oper ein Schauspielprolog voran, in dem hinter einer Filmprojektion der „Casa Verdi“ der Gegenwart deren Betrieb sichtbar wird: nette Seniorengeselligkeit, zu der jemand Verdi klimpert. Wenn die Betreuerinnen zum Essen rufen, bleibt ein höchst stattlich gebauter älterer Herr schlafend auf dem Sofa zurück – bis er von einer Schar nicht nur lustiger Weiber in Kostümen des 19. Jahrhunderts unsanft geweckt wird und der erste Akkord erklingt.

Ist's Traum oder Wirklichkeit?, fragt man sich mit Ford: Michieletto lässt die Grenzen auf poetische Weise verschwimmen – und seinen Falstaff sich eine Zwischenwelt aus Bühnenerinnerung und Gegenwart, Wünschen und Ängsten zusammenfantasieren, die nicht zuletzt durch die Videoprojektionen (Rocafilm) in Paolo Fantins subtil ausgeleuchtetem Einheitsbühnenbild zum Leben erwacht. Vokal wie darstellerisch kann Ambrogio Maestri, das unbestrittene Zentrum des Abends, in der Titelpartie auf vitale, durchaus differenzierte Weise aus dem Vollen schöpfen. Vom Edelmann und Philosophen mag da um Nuancen weniger zu fühlen sein als vom Epikureer, der noch mitten im Liebeshändel zur Weinflasche greift. Aber auch als „nur“ verschmitzt-sympathischer Sänger, vielleicht sogar Star von einst, macht Maestri gute, feiste Figur: Gern schauen wir ihm über die Schulter, wenn er im Fotoalbum blättert und in Erinnerungen schwelgt.

Kein Kostverächter ist auch Zubin Mehta am Pult der Wiener Philharmoniker. Er sorgt dafür, dass im zahnradartigen Wunderwerk der diffizilen Partitur nahezu alles gut geölt ineinandergreift, und verhindert explosive Härte – obwohl die Sänger manchmal keinen leichten Stand haben gegen die Opulenz aus dem Graben. Dennoch, Mehta lässt dort und da runder, weicher spielen als manche seiner großen Vorgänger, gibt Musikern und Sängern Zeit, kostet die humorvollen lautmalerischen Effekte aus, nimmt sich ein wenig zurück: Statt moussierenden Klangs und hochvirtuosen Funkelns entwickeln die Philharmoniker unter der Leitung des mit 77 auch schon altersweise zu nennenden Maestro eher einen milden Glanz, der wiederum zur Inszenierung nicht übel passt.

Berührende szenische Kontrapunkte

Und das, obwohl diese neben den betagten Statisten durchwegs junge Leute beschäftigt: Die lustigen Weiber von Windsor sind keine Golden Girls, sondern knackig-resche Maiden, die sich Falstaff gern im Negligé erträumt. Als Fantasiegestalten bevölkern sie und die Herren die Bühne oft auch dann, wenn das Libretto sie nicht vorsieht. Doch Michieletto gelingt es, trotz Tendenz zum Überladenen, seinen doppelten Bühnenboden konsequent zu nützen und immer wieder berührende szenische Kontrapunkte anzubringen – etwa in jenem alten verliebten Paar, das zum wehmütigen Echo von Fenton und Nanetta wird: Javier Camarena drängt zwar vom Lyrischen schon ins Zwischenfach, und Eleonora Buratto findet erst nach einer Weile zu süßem Piano, doch lauscht man ihnen ebenso nicht ungern wie dem Ford von Massimo Cavalletti, der sich im Monolog zu imposanter Größe steigert – kleine Freuden in einem weitgehend homogen-unauffälligen Ensemble, das Fiorenza Cedolins mit etwas blechernen Tönen als Alice anführt. Mit einer Ausnahme: Zur Spielmacherin wird die betont erotische Quickly von Elisabeth Kulman, die mit verführerisch noblen Tönen nicht nur ihren Reverenza-Auftritt zu einem vokalen und szenischen Kabinettstück macht.

Wenn sich der Mummenschanz des letzten Bildes als Leichenzug entpuppt, steigt ein beklemmendes Gefühl auf: Muss Falstaff sterben? Nein. Es darf doch noch einmal alles Spaß sein auf Erden. Danke.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2013)

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