Verdi und der Umgang mit (stimmlichen) Grenzen

Verdi Umgang stimmlichen Grenzen
Verdi Umgang stimmlichen Grenzen(c) ORF (Ali Schafler)
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„La Traviata“ mit der rührend zarten, aber auch gefährdeten Aleksandra Kurzak in der Titelpartie, dem klugen Bariton Simon Keenlyside – und einem Tenor, der um fast jeden höheren Ton kämpfen muss

Staatsoper qua, Staatsoper là: Rossinis notorisch viel beschäftigten Barbier überflügelnd, teilte sich das Haus am Ring zu Saisonbeginn auf teils physischem, teils technischem Weg. Während in Wien Verdis „La Traviata“ über die Bühne ging und live auf den Karajanplatz übertragen wurde, gastierte eine Abordnung des Ensembles mit Mozarts „Figaro“ in der Hamburger Laeiszhalle. Zu Hause stehen bis Mitte September gleich einige der beliebtesten Werke des Repertoires auf dem Programm, wobei in „Carmen“ und „Tosca“ noch dazu manch prominente Wiener Rollendebüts Spannung verheißen.

Zum Auftakt aber das beklagenswerte Schicksal der Violetta – in Jean-Francois Sivadiers schon vom Konzept her halb fertiger Inszenierung, die eine Probe zeigt. Unter dem energischen Routinier Marco Armiliato erlebte das vorwiegend dankbare Publikum eine wieder usuell gekürzte, aber insgesamt erfreuliche Aufführung, an der der Umgang mit gesellschaftlichen, aber auch mit stimmlichen Grenzen zu studieren war. Diese kann man etwa beherzt, aber doch mit einem Mindestmaß an Vorsicht und Bedacht austesten – wie es Aleksandra Kurzak wagte. Wenige ihrer Kolleginnen können manche brillante Passagen so fein ziseliert und agil wiedergeben, aber die eigentlichen Höhepunkte fand diese in Stimme und Darstellung berührend zerbrechliche Traviata in einigen konzentrierten, zarten Pianissimo-Phrasen: Wenn sie sich im Dialog mit Germont in ihr Schicksal fügt oder zuletzt, schon todkrank, mit Alfredo Paris den Rücken kehren will.

„Amami, Alfredo“: Etwas kurzatmig

Sobald es allerdings um Fülle und Expansionskraft geht, muss sie hörbar alles geben, was ihr zur Verfügung steht – schon im ersten Akt, bei dem in der Höhe bei C und Des ein leicht scharfer, angestrengter Beiklang in Kauf zu nehmen ist (auf ein hohes Es am Aktschluss verzichtet sie), vollends dann bei „Amami, Alfredo“, das etwas kurzatmig gerät. Mögen ihr die Folgen vokalen Raubbaus erspart bleiben, wie sie ihr brav spielender Tenorpartner Massimo Giordano vorführt: Der kann sich als Alfredo zwar nach bedenklichem Beginn etwas steigern, klingt aber doch überwiegend so, als habe er seine Grenzen über längere Zeit hin partout nicht wahrhaben wollen und sich mit zu dramatischen Partien übernommen: Um viele Phrasen, um beinahe jeden höheren Ton muss er kämpfen. Er tut es mit Ausdauer, aber ohne lyrische Schönheit.

Und Simon Keenlyside? Der gefeierte Posa mag vom Stimmtyp her kein genuiner Verdi-Bariton sein, kann aber auch den Padre Germont trotz rauer gewordenen Timbres und gerade im klugen Wissen um seine Grenzen differenziert und einfühlsam singen. Einfühlsam, das heißt hier, einen eiskalten Geschäftsmann darzustellen, der seine Appelle ans Mitleid bei der Kurtisane so kalkuliert einsetzt wie beim eigenen Sohn, um erst zu mehr Menschlichkeit zu finden, wenn es zu spät ist: ein eindringliches Porträt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2013)

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