Thomas-Bernhard-Fest: Höfliche Aufforderung zur Einsicht

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Neue Wege zu Bernhards Zorn. Claus Peymann und Andreas Khol regten einander nicht mehr auf. Ben Becker fand Bernhard "durchgeknallt".

Goldegg: ein Idyll. Ein Moorsee inmitten grüner, runder, mittelhoher Berge. Schmucke, frisch verputzte Gehöfte, ein restauriertes Schloss, ein hoch aufragender Kirchturm. Alles duftig, frisch, sauber. Und dann beginnt man mit der Lektüre von Thomas Bernhard. Verstörungen. Mehr und mehr verdüstert sich die Stimmung. Eine Stimmung wie kurz vor einem ausbrechenden Gewitter. Das Grauen kriecht herauf wie der beladene Traktor aus Schwarzach. „Die Katastrophe fängt damit an, dass man aus dem Bett steigt“, liest Jens Harzer, der in den ersten 2000er-Jahren im Salzburger „Jedermann“ den Tod spielte, aus Thomas Bernhards frühem Roman „Verstörungen“. Dieser stand im Mittelpunkt des diesjährigen Fests für Thomas Bernhard in Goldegg. „Der Hund in seiner Verstörung sei gefährlich“, rezitiert Jens Harzer. Der Schauspieler des Jahres 2011 weiß die unheimliche Atmosphäre Bernhard'scher Bücher, die litaneihafte Musikalität seiner Sprache, das Repetitive der oberösterreichischen Sprechweise präzise zu intonieren. Da verzeiht man ihm auch, dass er sich bei der fast zweistündigen Lesung mehrmals verhaspelt.

Josef Winkler auf Bernhards Spur

Sehr viel gehetzter, fahriger hat am Nachmittag davor Josef Winkler aus seinem jüngsten Buch, „Mutter und der Bleistift“, gelesen. Es ist eine viel bilderreichere Sprache als jene Bernhards. Winkler malt grandiose barocke Gemälde auf das Papier, wie jene Madonna seggiola von Raphael, die sich wie ein Dingsymbol durch das Buch zieht. Doch ist der Einfluss Bernhards spürbar, im Rhythmus der Sprache, im autobiografischen Schreiben, in der Beschreibung des alpenländischen Grauens hinter scheinbarem Idyll. „Solche Dörfer sind sehr idyllisch, wenn man einfach nur durchspaziert. Was sich dahinter verbirgt, das kann man dann an einem Dorf wie Kamering ablesen, mit der ganzen Enge und Abhängigkeit usw. Aber ich berichte ja aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Da hat sich in den Dörfern inzwischen viel geändert“, sagt Josef Winkler.

Im nahen St.Veit ist Bernhards früher Roman „Frost“ entstanden. „Ich glaube“, so Winkler, „dass Bernhard in seinen ersten Büchern am stärksten war, in ,Frost‘, in ,Verstörung‘, im ,Kalkwerk‘ und in den ersten Erzählungen. Viele spätere Bücher haben mich nicht mehr so interessiert, weil für mich die rhetorische Masche immer leichter zu durchschauen war.“ Dass Bernhard gezielt an seiner Karriere gearbeitet hat, zeigt sein Briefwechsel mit Gerhard Fritsch, der in den 1950er-, 1960er-Jahren als Herausgeber der „Wiener Bücherbriefe“ sowie der Zeitschriften „Wort in der Zeit“ und „Literatur und Kritik“ in der Szene einflussreich war und vor allem Publikationsmöglichkeiten eröffnete. Die Korrespondenz beginnt 1956 und endet 1968 nach dem „Staatspreisskandal“, bei dem Bernhard den Unterrichtsminister Piffl-Perčević provoziert hatte.

Ist es Zufall, dass zwei „Salzburger Tode“ in diesem Jahr nach Goldegg kamen? Mit Ben Becker las nach Jens Harzer ein weiterer Tod aus dem „Jedermann“, und zwar den Briefwechsel Bernhards mit Fritsch. Becker streifte erst einmal seinen Schal ab, warf sich aus seinem Sakko, stand mit weit offenem Hemd auf der Bühne und schmetterte „Guten Tag“ ins Publikum, als wäre es ein „Jedermann“-Ruf. „Ich zerschlage immer den Leuten den Sonntag und bin am Ende selbst zerschlagen“, deklamierte am Samstagnachmittag Becker Zeilen Bernhards an Fritsch. Diese Zeiten scheinen vorbei zu sein. Heute geht von Bernhards Werk keine Provokation mehr aus. Deshalb waren sich auch Claus Peymann und Andreas Khol zu Beginn der Veranstaltung einig in der Einschätzung des „Heldenplatz“-Skandals von 1988.

„Das Schöne kommt immer dann, wenn ich die Absicht habe, Schluss zu machen“, so Bernhard im Sommer 1957. An diesem Satz wird deutlich, wie sehr dieses Werk als permanenter Kampf gegen den Tod betrachtet werden muss. Diesem Überlebenskampf ist dann auch ein Teil des Abends im Goldegger Schloss gewidmet, so manche Passage korreliert mit Elias Canettis „Todesverachtung“. Im Zentrum steht jedoch „der Politiker Thomas Bernhard“. Eine Art politische Abendandacht unter dem Motto „Thomas Bernhard greift in die Nationalratswahlen ein“ schwebte Raimund Fellinger, Lektor im Suhrkamp Verlag und dort für das Werk Bernhards zuständig, vor. Das ließ sich Ben Becker nicht zweimal sagen und nagelte das Cover der jüngsten Ausgabe von „News“ an den Dachbalken. „Amok im Wald“ prangte darauf. Mit sichtlichem Vergnügen leitete er die Texte zur Österreichbeschimpfung mit den Worten ein: „Ich bin ein Piefke, ich hab es nicht geschrieben“.

Anders als beim Briefwechsel, den Becker hörbar vorher nicht gelesen hatte. Als er auf Namen wie George Saiko oder Zakopane stieß, wusste er sie nicht auszusprechen. In seinem Element war er, als er zitierte, dass Österreich von einer Zwei-Parteien-Regierung in einen tiefen Abgrund geführt worden sei. Die Regierung, eine Dummköpfelotterie, das Volk, Kleinbürger auf der Heuchelleiter, Aufwachen in Österreich heißt in Stumpfsinn und Niedertracht aufwachen. Gelegentlich kommentiert Becker die Texte oder lacht schallend. An einer Stelle schüttelt er den Kopf, meint: „Der Bernhard war ein total durchgeknallter Typ, aber gut.“

Diese Provokationen Bernhards sind aber nicht sein Werk, sie sind Kalkül. Sie enthalten jene Aussagen, die ihn – gewollt, geplant – bekannt gemacht haben. Hier lässt sich ablesen, dass sie ihre Wirksamkeit verloren haben. Niemand verließ mehr zornig den Saal. Es wäre daher an der Zeit, einen anderen Bernhard anstelle des Agent Provocateur treten zu lassen. In welche Richtung das gehen könnte, dahin weist der Arzt und Schriftsteller Harald Kollegger, wenn er in seinem Essay „Medizin und Literatur“ schreibt: „Bernhards Literatur ist eine beinahe höfliche Aufforderung, über den Umweg des Schmerzes Einsichten zu gewinnen, die sonst unmöglich wären. Bernhards Texte sind globale Konturierungsversuche einer Wirklichkeit, die alles Lebendige zur Beute hat, und ihr pessimistischer Grundton richtet sich gegen jeden Versuch, Gewalt und Niedertracht als Harmonie auszugeben.“

Auf einen Blick

Thomas Bernhard (1931–1989). Als Kind war Bernhard in NS-Internaten, die Erlebnisse dort traumatisierten ihn. Außerdem litt er an einer Lungenkrankheit. 1958 erschien sein Gedichtzyklus „In hora mortis“. 1970 erhielt der Schriftsteller den Georg-Büchner-Preis. Romane: „Frost“, „Holzfällen“, „Der Untergeher“. Beim Bernhard-Fest in Goldegg im Pongau waren heuer vor allem Bernhards Österreich-Bild und seine Burgtheaterzeit während der Direktion Claus Peymanns 1986–1999 ein Thema: „Heldenplatz“, 1988 uraufgeführt, löste einen Skandal aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2013)

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