„War Requiem“, bewegendes Plädoyer gegen Krieg

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Symbolbild(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Das London Philharmonic Orchestra glänzte unter Vladimir Jurowski mit dem „War Requiem“ des glühenden Pazifisten Benjamin Britten im Wiener Musikverein.

„Let us sleep now“, singen Tenor und Bariton gegen Ende sanft entrückt, wenn alle irdische Last von ihnen abgefallen ist: zwei Soldaten, im Leben offiziell Feinde, im Tode nun friedlich vereint. Knabenstimmen lassen von fern ein transzendentes Wiegenlied erklingen – und der Chor bittet neuerlich um die ewige Ruhe, die durch die herbe, leit- und leidmotivisch verwendete Tritonusspannung fis-c der Totenglocken unerreichbar scheint. Doch die bange Stimmung löst sich – ein wiederholter, aber stets aufs Neue berührender Effekt – in friedvoll leuchtendes F-Dur auf: „Amen“. Mit solch kunstvoll ausgeklügelter Schlichtheit endet das „War Requiem“ des glühenden Pazifisten Benjamin Britten, der in wenigen Wochen 100 Jahre alt geworden wäre. Und auch am Montag im Wiener Musikverein verfehlte das abseits seiner Opern wohl beliebteste unter den großformatigen Werken des modernen Orpheus Britannicus seine Wirkung nicht: ein starker, nach langer Stille herzlich bejubelter Abschluss des Gastspiels des London Philharmonic Orchestra unter Vladimir Jurowski.

Sachliche Klarheit, rührende Klage

Geschrieben für die Einweihung der neuen Kathedrale von Coventry 1962, deren 500 Jahre alter Vorgänger 1940 von der deutschen Luftwaffe zerstört worden war, lebt das „War Requiem“ von der Balance zwischen großflächigen Klangfresken und intimem Ausdruck, zwischen ehrwürdiger Symbolik und der neuen Form, in der Britten sie einsetzt. Jurowskis Zug zu sachlich-konzentrierter Klarheit erwies sich als willkommene Versicherung gegen Plakatives. Mit dem so klangvoll wie sicher agierenden Orchester, der sensibel aufgefächerten Kraft des Wiener Singvereins sowie den sauber tönenden Wiener Sängerknaben zeichnete er die expressive Weite etwa zwischen dem im 7/4-Takt als brutale Kriegsmaschinerie stampfenden „Dies irae“ und den bewegenden Klagelauten des „Lacrimosa“ nach, die Einspringerin Evelina Dobračeva vom Orgelbalkon mit leuchtkräftiger Intensität anstimmte.

Daneben basiert das „War Requiem“ auch auf eingeschobenen Gedichten von Wilfred Owen, der 1918 mit 25 Jahren gefallen ist. Britten vertraut sie zwei Männerstimmen an und kleidet sie in die zarten Klänge eines Kammerensembles, das Neville Creed leitete: Kaum ein Tenor kann diese eindringliche Lyrik mit so durchdringend schmerzlicher, kluger Präzision erfüllen wie Ian Bostridge, kaum ein Bariton mit solcher Qual, aber auch kreatürlichen Wärme und visionären Zartheit wie Matthias Goerne. (wawe)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2013)

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