Das Konzerthaus jubilierte: Mehr als Beethoven

(c) Wiener Konzerthaus (Wiener Konzerthaus)
  • Drucken

Singakademie und Philharmoniker präsentierten unter Dudamel Aribert Reimanns Prolog zur Neunten.

Gustavo Dudamel ist Ekstatiker. Einer begeisterungsfähigen Schar wie der Wiener Singakademie bei einem vertrauten, aber heiklen Stück wie Beethovens Neunter explosiven Zunder zu entlocken, schafft er so mühelos, wie sie auf die zerklüfteten Linien und harmonischen Härten von Aribert Reimanns Prolog zu eben dieser Symphonie einzuschwören.

Anders bei den Philharmonikern. Die scheinen zunächst froh, dass sie der Dirigent satt ausmusizieren lässt, sich in Klang und Tempo weitgehend an älterer Tradition orientiert. Wuchtig und sonor stapft da ein symphonischer Koloss daher, eindrucksvoll an etlichen Kulminationspunkten im Finale. Zuvor aber bleibt das Orchester oft unterfordert. Dass sich, wie Samstag in der Generalprobenatmosphäre unüberhörbar, neben fein erblühenden Klarinettenkantilenen Oboe und Fagott mal solistisch verhaspeln, kann passieren. Aber die ersten drei Sätze bleiben weit entfernt von einer fesselnden, flexibel modellierten Erzählung, erschöpfen sich in der Aneinanderreihung gewöhnlich monumental eingefasster Details.

Dadurch fehlt dem grenzensprengenden Finale die Basis. Pünktlich zu Beethovens notierten Fortissimi stellt sich größte Klangstärke ein, der Weg dorthin bleibt aber oft pauschal und undifferenziert. Kein Wunder, dass man bei den klagenden Wegen und Abwegen im Stirnsatz ebenso vergeblich nach tieferem Sinn, dem Warum lauschte wie bei den harmonischen Subtilitäten und Überraschungen des Adagios oder jener Finalpassage, in der die zuvor behandelten Themen zitiert und verworfen werden.

Der Schiller, der bei Beethoven fehlt

Als zuletzt die Begeisterung des zuvor eher unruhigen Publikums einsetzte, war die Erinnerung an Reimann schon in den Hintergrund gerückt. Auf der Fassade des Wiener Konzerthauses steht ja ein „Meistersinger“-Zitat – und wie beim Eröffnungskonzert vor hundert Jahren war neben Beethovens Neunter nun zum Jubiläum auch eine Uraufführung eines solchen deutschen Meisters zu erleben.

Reimann liebt die menschliche Stimme – und fordert sie heraus. Sein Prolog verwendet die von Beethoven nicht verwendeten Schillerverse, gießt sie in herbe A-cappella-Expression, bevor die Streicher aus tiefsten Tiefen her übernehmen: sich verheddernde Stränge, wie Stacheldraht gekräuselt und spitz, zuletzt sich in ätherischen Gefilden verlierend. Keine Rücknahme der Neunten, wie sie Leverkühn in Thomas Manns „Doktor Faustus“ wagt, sondern eine ergänzende, durch den Text aktuelle Mahnung angesichts von Krieg und Tod; und angesichts von Beethovens Weltumarmung wohl bewusst nicht plakativ, sondern nach innen gekehrt. wawe

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.