Wien modern: Lilith, Adams erste Frau, bleibt am Ende allein

(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
  • Drucken

"Paradise Reloaded" von Peter Eötvös blieb statisch. Beim Eröffnungskonzert des Festivals begeisterte Luigi Nonos "Canto sospeso".

„Betrachte sie genau!“, mahnt Settembrini in Thomas Manns „Zauberberg“, als im Faschingstreiben Madame Chauchat mit Papiermütze und in dunkelgoldbraunem, viel offenbarendem Seidenkleid auftaucht: „Lilith ist das. Adams erste Frau.“ Mit diesem Zitat aus Goethes „Faust“ will der Humanist seinen Schützling Hans Castorp vor dem verführerischen Einfluss der geheimnisvollen, ihm liederlich erscheinenden Russin warnen– naturgemäß vergeblich, wie sich zeigt. Die mythische Vorgängerin Evas, die den Namen einer sumerischen Göttin trägt (Luther übersetzte ihn mit „Nachtgespenst“), geistert seit dem Mittelalter durch die Kulturgeschichte, vom Talmud bis nach Hollywood.

Dass Lilith ihre Existenz vermutlich bloß der Aneinanderreihung zweier Varianten der Schöpfungsgeschichte in der Genesis verdankt, tut ihrer Faszination keinen Abbruch: Nach Jahrhunderten der Dämonisierung erfuhr sie in der feministischen Theorie eine affirmative Umdeutung. Schließlich war sie einst gemeinsam mit Adam aus demselben Lehm erschaffen worden, als eine starke Gefährtin mit gleichen Rechten und Fähigkeiten, nicht wie dann Eva nachträglich und von ihm abhängig aus seiner Rippe.

Peter Eötvös rückte diese erste Frau nun ins Zentrum einer neuen Oper: Der ungarische Komponist und Dirigent, dem einer der Schwerpunkte von Wien Modern 2013 gilt, spekuliert gemeinsam mit seinem Librettisten Albert Ostermaier, was passiert wäre, hätte Lilith rebelliert und um die Rolle als menschliche Urmutter an Adams Seite gekämpft.

Jetzt resigniert Lucifer am Ende

„Paradise Reloaded (Lilith)“, uraufgeführt am Freitag im Wiener Museumsquartier als Koproduktion mit der Neuen Oper Wien, ist bereits die zweite Auseinandersetzung des Autorenduos mit dem Stoff: 2010 hatte an der Bayerischen Staatsoper „Die Tragödie des Teufels“ Premiere, in der Lilith (als Lucifers Gehilfin „Lucy“) Adam zuletzt gar zum Mord an Eva anstiften kann. Die Reaktionen damals waren gemischt. Statt einer Umarbeitung entschieden sich Eötvös und Ostermeier jedoch für eine ganz neue zweite Bearbeitung des Stoffs: Jetzt resigniert Lucifer an Ende, Adam und die schwangere Eva wagen in mutiger Liebe einen Neuanfang, und die gleichfalls schwangere Lilith bleibt allein zurück.

Allerdings scheinen mit diesem „Reload“ weniger alte Probleme gelöst als neue aufgeworfen. Weder Ostermaiers Szenenfolge noch seine Sprache können konzise Schlagkraft entwickeln, sodass man in Adams wiederholten Satz einstimmen möchte: „Ich fühle eine grenzenlose Leere.“ Das Stationendrama bleibt statisch, daran kann auch die texttreue Inszenierung von Johannes Erath nichts ändern. Dass Eötvös für die wechselnden Tableaus zwischen himmlischen Sphären, monoton-gleichgeschaltetem „Glück“ der Zukunft und allerlei Schreckensszenarien meist routinierte, hin und wieder ironisch-zitathaft verbrämte, manchmal aber wirklich eindrucksvolle musikalische Entsprechungen in größerer stilistischer Bandbreite findet, sorgt immerhin für abwechslungsreiche 100 Minuten, in denen man dem (unter Walter Kobéras verdienstvoller Leitung) farbreich spielenden Amadeus Ensemble sowie einer sehr guten Sängerschar gern lauscht – besonders Rebecca Nelsens empfindsamer Eva und der furiosen Lilith von Annette Schönmüller.

Dass Karl Valentins Stoßseufzer, die Zukunft sei früher auch besser gewesen, manchmal gut passt, war cum grano salis schon am Vorabend im Eröffnungskonzert von „Wien modern“ zu erleben. Aber, wie Jürg Stenzl bei seiner Festrede sinngemäß anmerkte, leistet ja auch die weniger geglückte Musik der Gegenwart einen unverzichtbaren Dienst: Sie lässt das Außergewöhnliche desto plastischer hervortreten.

Aus Briefen von Widerstandskämpfern

Außergewöhnlich war an diesem Abend mit dem ORF-Radio-Symphonieorchester Wien unter Cornelius Meister im Konzerthaus „Il canto sospeso“ (1955/56) von Luigi Nono. Das grandios-komplexe Bekenntniswerk nach Textfragmenten aus Abschiedsbriefen europäischer Widerstandskämpfer und sonstiger Opfer des Faschismus erklang nun 75 Jahre nach dem Anschluss – ein klingendes Gedenken, das dem Land durchaus jährlich anstünde, wie Stenzl ausführte.

Der Wiener Kammerchor warf sich couragiert und mit Überzeugungskraft in die anstrengende Schlacht, unter den Solisten glänzte Claudia Barainsky besonders. Dass die Aufführung neben der gerechten Sache und dem Ausloten emotionaler Tiefen auch hörbar von den exorbitanten Anforderungen an alle Ausführenden kündete, tat ihrer Wirkung kaum Abbruch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.