Fraternité, auch zwischen den Wiener Häusern

(c) Clemens Fabry
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Beethoven, Schostakowitsch, Rihm: Das Cleveland Orchestra startete unter Franz Welser-Möst fulminant in seine diesjährige Musikvereins-Residenz. 2014 beehrt es sogar das Wiener Konzerthaus.

Eine musikalische Wiener Herbstrechnung: einmal Wolfgang Rihm, dreimal Beethoven, dreimal Dmitrij Schostakowitsch. Das ergibt drei Abende mit dem Cleveland Orchestra unter seinem Musikdirektor Franz Welser-Möst. Eine weitere Residenz dieses US-Spitzenklangkörpers im Wiener Musikverein. Bevor die Clevelander diesmal allerdings für drei Konzerte nach Wien reisten, spielten sie nicht nur in Paris und Köln, sondern auch in Luxemburg, wo Matthias Naske, der neue Konzerthaus-Chef, zehn Jahre lang die Philharmonie geleitet hat.

Vielleicht schon ein Hinweis auf die Neuigkeiten, die der Presse in der Pause des ersten Gastspielabends bekannt gegeben wurden: Auch im nächsten Herbst werden die Musiker unter Welser-Möst nach Wien kommen. Doch als Novität werden sie neben zwei Konzerten im Musikverein eines auch im Konzerthaus spielen. Das verkündeten Musikvereins-Intendant Thomas Angyan und der nach Wien zurückgekehrte Matthias Naske. Ein schönes, ungewohntes Zeichen, keine Selbstverständlichkeit im nicht immer ganz friktionsfreien Verhältnis der beiden Wiener Musiktempel. Geradezu brüderlich geteilte Freuden warten daher mit drei Werken von Jörg Widmann und den vier Brahms-Symphonien 2014 auf die Wiener.

Die Fraternité wurde dann auch am ersten Abend der aktuellen Residenz beschworen: Beethovens „Eroica“ eröffnete nämlich das Konzert. Im klanglichen Anschein ganz ungeniert romantisch geboten, mit dem herrlich seidigen Glanz der präzisen Streicher, einem phänomenalen Holz, aus dem Flöte und Oboe besonders hervorstachen, und einem proper kraftvollen Blech. Hinter dieser geschmeidigen Fassade ließ es Welser-Möst jedoch sehr agil, sehr straff und vielschichtig akzentuiert klingen. Das verschaffte etwa dem Trauermarsch des zweiten Satzes eine gar nicht larmoyante und dennoch sehr bewegende, dabei die Struktur klar aufschlüsselnde Anmutung. So kam auch das flink genommene Finale ohne leeres Getöse, aber kraftvoll an sein Überwältigungsziel.

Sehnsucht nach Frieden und Freiheit

Als Gegenstück zu Beethovens offen musikalisch ausgetragener Sehnsucht nach Frieden und Freiheit hatte sich Welser-Möst dann im zweiten Teil für die Sechste von Schostakowitsch entschieden. Der konnte aufgrund seiner gefährlichen Lebenssituation unter Stalin seinen Wunsch nach den hehren Werten nur verklausuliert in Noten fassen. Eine programmatische Konstellation, die sich durch das ganze Gastspiel zieht, an dessen zweiten Abend Beethovens Vierte auf die Achte von Schostakowitsch traf, während heute, Samstag, dessen Zehnte mit der Fünften Beethovens kombiniert wird.

Als Puffer dazwischen wurde die letzte noch ausständige zum 200-Jahr-Jubiläum des Musikvereins in Auftrag gegebene Komposition uraufgeführt: Wolfgang Rihms „Verwandlung 5“. Ein hinreißend gekonnt und raffiniert auf der Klaviatur der Orchestermöglichkeiten spielender Zehnminüter, variantenreich, überraschend eingängig und mit einem knallenden Pizzicato-Ton der Solovioline zum Schluss auch humorig.

Die Sechste gelang dann schließlich zur überwältigenden Demonstration orchestraler Potenz. Welser-Möst gebot hier über eine Musikergemeinschaft, die sich wie ein perfekt trainierter Muskel bewegte. Allein mit welch stupender Präzision am Ende des in einem spannungsreichen Bogen gebotenen ersten Satzes die Bratschen ihren Endlos-Triller ins Nichts verklingen ließen, während sich die Geigen im zartesten Pianissimo darüberlegten, ließ einen staunen. Nicht weniger dann das extrem rasant dahinziehende Presto-Finale, das man in Wien in solcher Qualität wohl noch selten gehört hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2013)

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