Nationaltheater München: Jubelstürme für Kirill Petrenko

Nationaltheater München: Jubelstürme für Kirill Petrenko
Nationaltheater München: Jubelstürme für Kirill Petrenkoimago/DRAMA-Berlin.de
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Richard Strauss'"Die Frau ohne Schatten", exakt 50 Jahre nach der Wiedereröffnung. Eine Abkehr vom gleichsam Wagnerisch-Übermenschlichen spiegelt sich in der Besetzung wie in der Inszenierung.

Eitel Wonne an der Bayerischen Staatsoper: Nicht nur Jubelstürme für den neuen Generalmusikdirektor Kirill Petrenko, für Solisten, Chor und Orchester, sondern auch unwidersprochene Begeisterung für die Inszenierung von Krzysztof Warlikowski – ein Musiktheater-Glücksfall also?

Genau 50 Jahre nach der Wiedereröffnung des 1943 zerbombten Nationaltheaters München steht nun, wie 1963, das oft als rätselhaft empfundene Magnum Opus „Die Frau ohne Schatten“ aus der Werkstatt Hofmannsthal/Strauss auf dem Programm – und zwar, im Gegensatz zu damals, erfreulicherweise komplett, so wie zuletzt bei Thielemann in Salzburg. Petrenkos Zugang ist freilich ein anderer: Wo bei jenem Größe und Gewicht des Klangs Hand in Hand gehen wie einst etwa bei Knappertsbusch, so huldigt er lieber, um einen anderen Münchner Amtsvorgänger zu nennen, dem straffen, schlankeren Musizierideal eines Wolfgang Sawallisch. Petrenko gewinnt die Kraft seiner Darstellung aus drängendem Elan, Transparenz und Pianissimo-Akribie, nicht aus Monumentalität – und kehrt etwa zart schmelzende impressionistische Valeurs so klar hervor wie harmonische Härten. Bis auf kleine Stolperer folgt ihm das Orchester dabei mit sensibler Hingabe, und vom Text ist so viel verständlich wie selten.

Diese Abkehr vom gleichsam Wagnerisch-Übermenschlichen spiegelt sich in der Besetzung wie in der Inszenierung. Probleme lassen sich am besten bei Rotwein wälzen, zum Feiern aber wird Sekt eingeschenkt: So hausbacken läuft der funktionale Alkoholkonsum in den Szenen zweier Ehen, die Warlikowski zeigt. Inspiriert von Resnais' Film „Letztes Jahr in Marienbad“, aus dem zu Beginn umständlich eine ganze Szene über das wandlungsfähige Einheitsbühnenbild flimmert, verlegt er die Handlung in ein Nobelsanatorium à la „Zauberberg“: In edler Toilette und ebensolchem Interieur residiert die Welt der zu behandelnden Kaiserin, Barak und seine Frau arbeiten in der Hotelwaschküche. Mit allerlei Filmprojektionen, greisenhaften Dienern und einer Unmenge an Kindern mit und ohne Vogelköpfen steht sich Warlikowski aber immer wieder selbst im Weg: Mit ständiger Rücksicht auf Sigmund Freud hat Robert Carsen das Stück 1999 in Wien schlüssiger und stimmungsvoller gedeutet.

Elena Pankratova glänzt als Färberin

Die Entdeckung des Abends heißt Elena Pankratova: keine genuine Hochdramatische, aber eine imponierende, in allen Lagen ausgeglichen klingende Färberin, der kein schriller Ton unterläuft. Bei Adrianne Pieczonkas sympathischer, aber wenig poesievoll-aristokratischer Kaiserin dagegen werden neben leuchtenden Phrasen auch metallisch verhärtete Spitzentöne hörbar: ein Kraftakt. Im besten Sinne unerschütterlich strömen breit die Kantilenen des Kaisers von Johan Botha, und Wolfgang Koch ist von Statur und Stimme her die personifizierte Bodenständigkeit.

Sebastian Holecek gibt den Geisterboten als eine Art Helden-Danilo, der im dritten Akt lustlos Bürokratenhandwerk verrichtet, Akten stempelt – und die Amme in eine Zwangsjacke stecken lässt. Die ist hier weit entfernt von herkömmlicher Dämonie: Deborah Polaski stellt sie, auftoupiert und im weißen Hosenanzug, als Schwester der verrückten Irrenärztin Mathilde von Zahnd aus Dürrenmatts „Physikern“ dar, hat aber stimmlich Mühe, ihre Textmengen mit Klang zu erfüllen und verständlich zu machen.

Zuletzt darf sich jeder seinen eigenen Geisterkönig und Übervater aussuchen: Freud, King Kong, Batman, Buddha... Schmerzlich aber, dass sich dieser Filmeffekt rüpelhaft vor den zarten Ausklang drängt.

Gratis-Livestream in HD am 1. Dezember:

bayerische.staatsoper.de/tv

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2013)

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