Keiner kennt Verdi so gut wie Muti

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Trotz drohenden Streiks fand die Saisoneröffnung statt: mit Verdis "Ernani". Riccardo Muti dirigierte packend. Die Inszenierung war nur konventionell.

Wie auch sonst im Musiktheater geht es in Verdis Dramma lyrico „Ernani“ um Liebe, Leidenschaft und Eifersucht. Dazu um Sühne und Rache. Vorlage war Victor Hugos Roman „Hernani“; im Zentrum steht das Buhlen dreier Männer um eine Frau. Ob es nur Zufall war, dass Verdi just auf dieses Sujet stieß, als er selbst gerade zwischen drei Frauen stand? (Er entschied sich dann für seine spätere Frau Giuseppina Strepponi, die anderen zwei waren eine Dame der Mailänder Gesellschaft und seine erste Griselda in seiner Oper „I Lombardi“.)

Ein interessanter psychologischer Ansatz für eine Regie. Aber gewiss nicht der einzige. Ist tatsächlich im Stück nur nebstbei davon die Rede, dass das Geschehen sich ohnedies bloß in der Familie abspiele? Haben die drei Männer – der Oheim, der sein Mündel begehrt, der Spanienherrscher Don Carlo und der aus Rache über den Tod seines Vaters zum Banditen gewordene adelige Titelheld Ernani, eine Vorahnung des späteren Manrico – nicht doch engste verwandtschaftliche Bezüge? Lässt sich diese Konstellation nicht auch so deuten, dass es sich bei Ernani und Don Carlo um zwei tief verfeindete Brüder handelt, bei Don Ruy Gomez de Silva um deren gemeinsamen Vater und bei Elvira um dessen Braut, auf welche die Söhne gleichfalls ein Auge geworfen haben?

Wenigstens kurz ließe sich eine solche Interpretation auch aus dieser Inszenierung von Hugo de Ana schließen. Allerdings bleibt es nur eine Momentaufnahme. Den Mut, diesen – gewiss auch spekulativen – Ansatz weiterzuverfolgen, hat er nicht. Er belässt es bei der bloßen Schilderung der Handlung, die er am Originalschauplatz spielen lässt: im alten Spanien. Seine opulenten Kostüme, die man auch in einem US-Ausstattungsfilm erwarten könnte, und die pompöse Bühnenarchitektur – ein die ganze Bühne einnehmender Umriss eines alten Palazzo – unterstützen das.

„Spettacolo inaugurale“

Dass solches kaum mehr Platz für die psychologische Charakterisierung lässt, liegt auf der Hand, raubt dem Stück aber eine wesentliche Dimension. Man kann es auch als Vorteil ansehen: Von der überfrachteten Szenerie rasch müde, lenkt man die Konzentration bald nur mehr auf die Musik. Sie war auch das Ereignis dieses, wie im Programmheft ausdrücklich vermerkt, „Spettacolo inaugurale“, das durch den Besuch des italienischen Staatspräsidenten ausgezeichnet wurde.

Dabei schwirrten im Vorfeld Gerüchte, dass ein Streik im letzten Moment diesen minutiös vorbereiteten Saisonstart verhindern könnte. Schließlich besann man sich doch eines Besseren. Immerhin ist die Römische Oper, seit Muti hier als Musikdirektor wirkt, angetreten, um der Mailänder Scala (die derzeit nicht gerade ihre beste Zeit erlebt) ernsthaft Konkurrenz zu machen. Als Muti Anfang der 1980er-Jahre „Ernani“ (ebenfalls zu einer Saisoneröffnung) im Teatro all Scala aufs Programm setzte, hatte er eine heute undenkbare Starbesetzung zur Verfügung: Domingo, Freni, Bruson, Ghiaurov.

Davon lässt sich heute nur mehr träumen. Doch man muss nicht nostalgisch werden. Immerhin steht Francesco Meli als strahlender Tenor für den Ernani bereit, für den Silva der profunde, wortdeutlichst zeichnende Bassist Ildar Abdrazakov, für die Elvira die dramatisch ihr Schicksal imaginierende Tatiana Serjan. Da nimmt man in Kauf, dass Luca Salsi einige Zeit benötigte, um dem Don Carlo die nötige Kontur zu geben. Nicht zu vergessen die glänzend einstudierten Chorszenen und das exzellent aufspielende Orchester. Spiritus Rector dieser Produktion war einmal mehr Riccardo Muti: Niemand versteht sich heute so wie er auf den typischen Tonfall Verdis, niemand sonst arbeitet so konsequent mit Sängern. Konkurrenzlos, wie er Spannungsbögen formt, die Dynamik ausreizt. Schade, dass es nicht gelungen ist, ihn in diesem Verdi-Jahr nach Wien zu holen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2013)

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