Antwerpen: Feiner "Rosenkavalier" von Christoph Waltz

(c) EPA (ANNEMIE AUGUSTIJNS / VLAAMSE OPE)
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In der Vlaamse Opera feierte der Wiener Oscar-Preisträger seine erste Opernpremiere - ohne großen Medienhype. Seine Regie ist auf das Wesentliche reduziert, sie stellt sich in den Dienst des Werks.

Kein Geringerer als ein Oscar-Preisträger inszeniert an der Vlaamse Opera in Antwerpen, als gebürtiger Wiener noch dazu den „Rosenkavalier“ – fast scheint ein Klischee überstrapaziert. Doch gab es keinen Medienhype um diese Premiere. Vielleicht, weil kein Skandal zu erwarten war, sondern die Regie sich ganz in den Dienst des Werkes stellte...

Musikalisch hebt der Abend etwas enttäuschend an, Dirigent Dmitri Jurowski lässt den Phrasen des Vorspiels zu wenig Raum, viel zu rasch geht er darüber hinweg und hinterlässt den Eindruck des Hudelns, der sich über den ganzen ersten Akt hält, verstärkt durch zumeist völlig undeutliche Artikulation der Sänger. Doch steigert sich die Aufführung bis zum berührenden Schlussterzett enorm.

Die Sänger, durchwegs jung und fast alle Rollendebütanten, verleihen der Produktion Frische. Maria Bengtssons Marschallin erfasst den Geist der Rolle, gestaltet mit dunklem Timbre klug und elegant die Wandlung von Verliebtheit zu Verzicht. Ihr zur Seite Stella Doufexis' Octavian, stimmlich nicht ganz überzeugend, darstellerisch vor allem im dritten Akt jedoch beeindruckend. Albert Pesendorfers Ochs steigert sich von Akt zu Akt, er ist ein offensiver Ochs, der keine Faxen macht und ohne Umstände sein Ziel verfolgt: Selten ist die Szene zwischen Ochs und Mariandl so intensiv zu erleben.

Rokoko, entschlackt

Die Personenführung geht stark auf die einzelnen Charaktere ein: Die Marschallin ist eine selbstbewusste junge Frau, der ihr sehr junger Liebhaber trotzdem abhandenkommt. Octavian hingegen ist unsicher, verlegen, weiß nicht, wie er mit der Situation umgehen soll. Der Satz „Der Bub, wie er verlegen da in der Mitten steht“ bestimmt die Interpretation und passt gut zu Christiane Kargs Sophie, die nicht nur stimmlich die Rolle in jeder Nuance auskostet, sondern auch darstellerisch frischen Wind einbringt: „Frisch aus dem Kloster“ kommt diese Sophie sicher nicht: Nach kurzem Schreck ergreift sie die Initiative und hilft dem noch zögerlichen Octavian auf die Sprünge. Ein modernes Mädchen, das auch am Schluss der Oper Octavian an der Hand nimmt und ihm zeigt, wer wohl in Zukunft die Hosen anhaben wird. Zu Beginn des zweiten Akts geht sie noch in sich, ihr Monolog erinnert an ein Gebet, unterbrochen von der aufgeregten, ganz jungen Leitmetzerin von Hanne Roos, die weniger Gouvernante als Freundin ist. Besonders erwähnenswert sind auch die ausdrucksstarke Annina von Ezgi Kutlu und der stimmgewaltige Polizeikommissar von Andrew Greenan. Michael Kraus gibt einen überaus eitlen, auf die Außenwirkung bedachten Faninal, was direkt zur Regie überleitet: Christoph Waltz reduziert die Oper auf das Wesentliche und konzentriert sich auf die wichtigsten Handlungsstränge – Rokoko entschlackt, könnte man salopp meinen.

Die Gespenster sind das Volk

Die Wechselwirkung zwischen intimer Privatsphäre und voyeuristischem Außenblick steht im Mittelpunkt, beeindruckend ist vor allem der zweite Akt: Die Überreichung der silbernen Rose findet nicht vor großem Publikum statt, sondern in der Atmosphäre eines intimen Salons mit gerade einmal vier Personen. Eine neue und schlüssige Dimension tut sich auf: die Tochter, die an die große Liebe glaubt, der Vater, der am liebsten ein gläsernes Haus hätte, damit „alle Neidhammel“ sehen können, in welchen aristokratischen Kreisen er nun verkehrt.

Der dritte Akt stellt diese Diskrepanz nochmals in den Vordergrund. Anstelle der immer etwas grotesk wirkenden versteckten Gespenster tritt das voyeuristische Volk, das durch semitransparente Fenster das Geschehen verfolgt und auch eingreift – Ochs ist ein Opfer der Masse, es fehlten eigentlich nur mehr Paparazzi, die Christoph Waltz klugerweise nicht auf die Bühne gebracht hat. Sein Motto: Weniger ist mehr.

Reduktion zugunsten des Werks, bürgerlicher Salon anstelle prunkvoll ausgestatteter Palais, eingebettet in ein Bühnenbild von Annette Murschetz. Dem entsprechen auch die Kostüme, die in unaufdringlicher Weise jedem Akt eine eigene Farbe verleihen: Von Rot über Grün zu Grau – gerade im dritten Akt tritt die Marschallin in einem hocheleganten zeitlosen Kleid auf, ohne Rokokoschnörksel, aber auch ohne anbiedernde Moderne. Dies entspricht dem Geist von Christoph Waltz' Regie: Reduktion auf das Wesentliche.

ZUR PERSON


In Antwerpen noch am 17., 20., 22., 26. und 28. Dezember, in Gent am 9., 11., 14., 17. und 19.Jänner.

Christoph Waltz wurde 1956 in Wien in eine Theaterfamilie geboren, er studierte in New York und seiner Heimatstadt Schauspiel. Ab Ende der 1970er war er regelmäßig in Kino und TV zu sehen. Welterfolg und zwei Oscars kamen ab 2009 mit Quentin Tarantinos Filmen „Inglourious Basterds“ und „Django Unchained“. [ APA ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.12.2013)

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