Neujahrskonzert : "Schönstes Geschenk für Dirigenten!"

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Daniel Barenboim dirigiert das Neujahrskonzert heuer zum zweiten Mal. Mit der "Presse" sprach er über das Programm, über philharmonische Erfahrungen und den Nahen Osten.

Maestro Barenboim, Ihre Familie hat eine besondere Beziehung zu den Philharmonikern, Ihr Vater hat sie als Elfjähriger in Buenos Aires bei ihrem ersten Südamerika-Gastspiel 1923 unter Richard Strauss gehört, Sie waren noch jünger, als Sie sie erstmals in Salzburg hörten...

Ich war neun, das war 1952. Es waren wunderbare erste Erfahrungen. Ich war sehr neugierig, denn mein Vater hat nie aufgehört zu erzählen, wie beeindruckt er war.

Haben Sie sich schon damals vorstellen können, je mit den Philharmonikern zu musizieren?

Die Idee hatte ich vielleicht nicht, aber den Willen. (Lacht.)

Was hat Sie damals fasziniert?

Der Klang, das Zusammenspiel, nicht nur vertikal, sondern wie die Musiker einander zugehört haben. Diese Einheit, das war erstaunlich.

Geht man ans Neujahrskonzert anders heran, wenn man es zum zweiten Mal dirigiert? Sie waren sich ja nicht sicher, ob Sie diese Einladung annehmen sollten.

Ich habe mir viele Neujahrskonzerte angehört, es gab viele wunderbare. Vielleicht habe ich es mir eingebildet, aber manchmal hatte das erste Konzert eines Dirigenten etwas, was sein zweites nicht hatte. Ganz unbescheiden will ich sagen: Ich war mit meinem ersten Konzert sehr zufrieden. Deshalb meinte ich, ein zweites könnte nicht so gut werden. Doch dann dachte ich: Wird man mir das nicht als Schwäche oder Aberglauben auslegen? So entschied ich mich, die Kraft zu finden, um beim zweiten Mal einiges besser zu machen. Jetzt freue ich mich wahnsinnig, denn das schönste Geschenk für einen Dirigenten ist dieser Stehplatz am 1.Jänner.

Was ist das Besondere an diesem Konzert?

Ich bin keiner, der sagt: Die Philharmoniker sind das beste Orchester der Welt. Man soll die Orchester überhaupt nicht vergleichen. Aber mit dieser Musik hat es etwas Spezifisches auf sich. Die Wiener Philharmoniker sind besessen von dieser Musik, sie gehört ihnen wie keinem anderen Orchester. Gewiss, man kann sich vorstellen, Musik, die in Wien entstanden ist, auch anders zu hören als von den Philharmonikern. Sie würden das als Erste akzeptieren. Aber dieses Rubato, dieser Wiener Walzer, wo der zweite Schlag etwas früher kommt! Andere Orchester können das nachmachen, aber bei ihnen ist alles so natürlich und selbstverständlich.

Was ist das Besondere an der Musik der Walzer-Sträuße, lässt sich das in Worte fassen?

Ich glaube nicht. Man spricht immer über die eigene Reaktion auf die Musik, nicht über die Musik selbst. Für den einen ist Musik Mathematik, für den anderen Philosophie, für den Dritten erotisch. Sind wir in melancholischer Stimmung, scheint uns das Stück melancholisch. Sind wir heiter, hören wir die Musik heiter. Auch als Zuhörer leistet man einen Beitrag: Wenn man nur neutral dasitzt, bekommt man nichts von der Musik.

Muss man Musik kennen, damit sie einen unmittelbar anspricht?

Dazu zwei Erlebnisse. Ich habe das „Wohltemperierte Klavier“ in Ramallah vor hunderten Leuten gespielt. Möglicherweise hatten 98 Prozent der Zuhörer das Stück nicht gekannt, aber sie hatten das Gefühl, vor einer wichtigen menschlichen Aussage zu stehen. Und ich dirigierte das erste klassische Konzert in Ghana: Beethovens Neunte mit dem Scala-Orchester. Die meisten Zuhörer hatten noch nie klassische Musik gehört, sie wussten nicht, wie sie sich benehmen sollten. Wenn das Orchester aufstand, standen auch sie auf, wenn es saß, saßen auch sie. Aber sie hörten zu. Ich konnte in meinem Rücken fühlen, dass sie spürten, mit einer wichtigen Aussage konfrontiert zu sein.

Was muss denn ein Strauß-Dirigent können?

Jetzt könnte ich sagen: Ein Strauß-Dirigent muss erst einmal von den Wiener Philharmonikern eingeladen werden. (Lacht.) Ich habe immer die Philharmoniker mit großer Freude und Bewunderung dirigiert, aber wie sie dieses Strauß-Repertoire spielen, ist einmalig. Es gibt so viele Fragen: Spielt man das Rubato nur am Anfang, wie viel Freiheit hat man in der Mitte, was wiederholt man, wie schnell kann man gehen? Wichtig ist auch die Frage der Dynamik, da man leicht in die Gefahr kommt, mezzopiano oder mezzoforte zu spielen. Man muss den Mut für ein richtiges Forte haben und ein subito piano.

Wer hat das Programm für dieses Neujahrskonzert ausgewählt?

Ich habe das gemeinsam mit Clemens Hellsberg gemacht, er hat mich um eine Liste von Stücken gebeten, die ich gerne dirigieren würde, und einen Großteil konnte er erfüllen. Wir haben versucht, nicht ein Zugabenkonzert zu machen, sondern Verbindungen zwischen je zwei, drei Stücken, es gibt Blöcke.

Was waren Ihre Anliegen?

Ich wollte unbedingt „Geschichten aus dem Wienerwald“ machen und ein Stück, das noch nie im Neujahrskonzert gespielt wurde, den Josef-Strauß-Walzer „Friedenspalmen“: ein Meisterwerk. Und auch ein Stück von Joseph Hellmesberger, das ist ein unterschätzter Komponist.

Sie sind ein eminent politischer Kopf, setzen sich etwa mit dem West-Eastern Divan Orchestra für Völkerverständigung ein.

Ich sehe mich gar nicht so als politischen Menschen. Was ich mit dem West-Eastern Divan mache, hat keine politischen Gründe. Ich habe damit angefangen, weil ich das Gefühl hatte, dass der schreckliche israelisch-palästinensische Konflikt nicht so gesehen wird, wie er tatsächlich ist. Es ist nicht ein Konflikt zwischen zwei Nationen, wie es Hunderte in der Geschichte gab, sondern ein menschlicher Konflikt zwischen zwei Völkern, die zutiefst überzeugt sind, das Recht zu haben, auf dem gleichen kleinen Stückchen Land zu leben, und das ohne den anderen. Man muss sich Zeit nehmen, um den Nahost-Konflikt zu analysieren.

Hat das Neujahrskonzert, das in die ganze Welt übertragen wird, auch eine politische Funktion?

Es ist ein Konzert, über das sich die ganze Welt freuen muss, dass es das gibt, mit so einem tollen Programm und einem so tollen Orchester. Das ist für mich die Botschaft: Wie glücklich sind wir Menschen, dass wir Musik in unserem Leben haben!

ZUR PERSON

Daniel Barenboim, Pianist und Dirigent, geb. 1942 in Buenos Aires, gab 1950 sein erstes Konzert. 1975 wurde er Chefdirigent des Orchestre de Paris, 1992 des Chicago Symphony Orchestra. Seit 1992 ist er Künstlerischer Leiter der Staatsoper in Berlin. Seit 1988 ist er mit der Pianistin Jelena Baschwirowa verheiratet, ihr gilt das erste Stück im Neujahrsprogramm, die Helenen-Quadrille.

1993 gründete er mit dem Literaturwissenschaftler Edward Said das West-Eastern Divan Orchestra, in dem Musiker aus Israel und den Palästinenser-Gebieten gemeinsam spielen.

PROGRAMM

Eduard Strauß: „Helenen-Quadrille“, op.14
Josef Strauß: „Friedenspalmen“, Walzer, op.207
Johann Strauß Vater:„Carolinen- Galopp“, op. 21a
Johann Strauß Sohn: „Egyptischer Marsch“, op.335
Johann Strauß Sohn: „Seid umschlungen, Millionen“, Walzer, op.443
Johann Strauß Sohn: „Stürmisch in Lieb' und Tanz“, Polka schnell, op.393


Johann Strauß Sohn: Ouvertüre zur Operette „Waldmeister“
Johann Strauß Sohn: „Klipp-Klapp“, Galopp, op.466
Johann Strauß Sohn: „Geschichten aus dem Wienerwald“, Walzer, op. 325 Josef Hellmesberger jun.: „Vielliebchen“, Polka française, op.1
Josef Strauß: „Bouquet-Polka“, Polka schnell, op.188
Richard Strauss: „Mondscheinmusik“ aus der Oper „Capriccio“
Joseph Lanner: „Die Romantiker“, Walzer, op.167
Josef Strauß: „Neckerei“, Polka Mazur, op.262
Josef Strauß: „Schabernack“, Polka schnell, op.98
Léo Delibes: Variation dansée (Pizzicati) aus dem Ballett „Sylvia“
Josef Strauß: „Dynamiden“, Walzer, op.173
Josef Strauß: „Ohne Sorgen“, Polka schnell, op.271


Danach Zugaben, traditionell u. a. mit „An der schönen blauen Donau“ von Johann Strauß Sohn und dem „Radetzky-Marsch“ von Johann Strauß Vater.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2013)

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