Vom Wagnis, alle Beethoven'schen Klaviersonaten aufzuführen

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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András Schiff startet seinen zweiten Anlauf, in Wien alle 32 Werke als Zyklus vorzustellen. Im Konzerthaus tritt der ungarische Pianist damit in die Fußstapfen von Interpreten wie Artur Schnabel, Claudio Arrau oder Friedrich Gulda.

Das „Neue Testament“ der Klavierliteratur, so bezeichnete Hans von Bülow bekanntermaßen die 32 Klaviersonaten Ludwig van Beethovens. Bachs „Wohltemperiertes Klavier“ wäre demnach das „Alte Testament“ – doch suggeriert diese Nomenklatur eine Allgemeingültigkeit, die keineswegs gegeben ist. Schon die Gleichsetzung Bachs und Beethovens an der Spitze der Rangliste der Unsterblichen findet im wirklichen Musikleben keinen Niederschlag. Es ist die Ausnahme, wenn Pianisten, die sich intensiv mit Beethoven beschäftigen, desgleichen mit Bach verfahren.

Friedrich Gulda, um mit dem profiliertesten Wiener Beethoven-Spieler der jüngeren Vergangenheit zu beginnen, war ein solcher Connaisseur, der „Wohltemperiertes Klavier“ und Beethovens Sonatenkosmos gleichermaßen überblickte und als Interpret auf beiden Gebieten maßstäbliche Aufnahmen vorlegte.

Wiens meistbeschäftigter Beethoven-Interpret der Gegenwart, Rudolf Buchbinder, hat von Bach hingegen bestenfalls eine der englischen Suiten stets parat. Dafür ist er gewiss der Rekordhalter im zyklischen Beethoven-Marathon: Demnächst musiziert er alle Sonaten wieder einmal bei den Salzburger Festspielen – und plant für seine Heimatstadt längst einen Durchlauf, der dann sein fünfzigster weltweit sein soll.

Barenboim, Brendel, Kempff

Dergleichen enzyklopädische Würdigung der Beethoven-Sonaten kommt uns hierzulande nach etlichen Erfahrungen mit Pianisten wie Daniel Barenboim, Alfred Brendel oder, aus einer früheren Generation, Wilhelm Kempff, um nur drei prominente Beispiele zu nennen, recht „normal“ vor. Dabei vergisst man über der hohen Verehrung, die Beethoven in deutschsprachigen Landen zuteil wird, dass keineswegs für Pianisten aller Länder und Schulen die konsequente Pflege dieses Repertoires als bindende Aufgabe gilt.

Ein Blick auf die Aufnahmegeschichte lehrt, dass zwar eine Reihe von Interpreten sich in die Tradition von Musikern wie Artur Schnabel oder Walter Gieseking reihen. Von jenem stammt die erste stilbildende Gesamtaufnahme, dieser spielte schon als 20-Jähriger sämtliche Sonaten in rascher Folge. Für die Virtuosen der russischen Schule ist eine solche Vollständigkeitswut in Sachen Beethoven schon nicht mehr feststellbar. Von einem Vladimir Horowitz erwartete die Musikwelt keinen Beethoven-Zyklus.

Und auch ein vielseitiger Kenner und Könner wie Swjatoslaw Richter, der noch im Alter sämtliche Wagner-Opern auswendig beherrschte, die er als Korrepetitor in seiner Jugend studiert hatte, ein Mann, der sich mit Sicherheit auch über jede Modulation in den klassischen Klavierwerken Rechenschaft geben konnte, dachte nicht daran, öffentlich alle Beethoven-Sonaten zum Besten zu geben. Im Gegenteil, manche davon hat er vor Publikum nie gespielt, manche nur für ganz wenige, dafür aber meist exemplarische Aufführungen gewählt.

András Schiff reiht sich also bewusst in die Riege der konsequenten Exegeten ein, wenn er im Wiener Konzerthaus nun bis Juni die 32 Werke in chronologischer Reihenfolge spielt. Er ist, wie Gulda, einer von den rechtgläubigen Propheten nach dem Bülow'schen Gesetz. Mit Bach hat sich Schiff um 1980 dem Wiener Publikum vorgestellt. Bachs Klavierwerk hat er dann in denkwürdigen Zyklen geschmeidig und klar aufgeführt.

Mit Beethoven hat er das bereits einmal, allerdings unterbrochen durch eine direktoriale Ungeschicklichkeit, im Theater an der Wien versucht. Nun wird wohl im Konzerthaus, dem Schauplatz von Schiffs unvergleichlich ruhig modellierten Bach-Wiedergaben, auch für Beethoven ein ungestörter Verlauf möglich sein.

Und apropos „Altes Testament“: Der Zugang zur Wiener Klassik über die spätbarocken kontrapunktischen Wunder hat angesichts der zahlreichen hochkomplexen Fugenstrukturen in den späten Beethoven-Sonaten ja allerhand für sich...

ANDRÁS SCHIFFS BEETHOVEN-ZYKLUS

Die Termine der Konzertreihe im Konzerthaus:

10.Jänner (die Sonaten op. 2/1–3 und op. 7),

26.Februar (op. 10/1–3, op. 13 und op. 14/1–2),

8.März (op. 49/1–2, op. 22 und op. 26–28),

24.April (op. 31/1–3, op. 53),

8.Mai (op. 54, op. 57, op. 78, op. 79 und op 81a),

27.Mai (op. 90, op. 101 und die „Hammerklaviersonate“, op. 106),

14.Juni (op. 109–111)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2014)

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