Terfels charmante Gemeinheit

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Bryn Terfel, nach sieben Jahren wieder im Haus am Ring, spielt als so feinsinniger wie fieser Scarpia in Puccinis »Tosca« seine Partner sängerisch und auch darstellerisch an die Wand.

Plácido Domingo im Theater an der Wien als gramgebeugter alter Doge, Bryn Terfel hingegen als hassenswerter Scarpia an der Staatsoper: Die letzten Tage wecken Erinnerungen an die umjubelte „Hoffmann“-Premiere im Haus am Ring vom Dezember 1993. Da konnte Domingo, damals auch schon jenseits der Fünfzig, endlich auch in Wien sein längst ausgereiftes Hoffmann-Porträt vorstellen – und kam, im Prolog zunächst ganz alter, versoffener Dichter, zum Olympia-Akt plötzlich glaubwürdig als grüner Junge auf die Bühne gestürmt. In den Bösewichtpartien aber reüssierte an seiner Seite ein mit 28Jahren wirklich noch junger Waliser, der als Student durch Domingos Otello von Pink Floyd zur Oper bekehrt worden war und 1992 bei den Salzburger Festspielen als Jochanaan schon einen Sensationserfolg hatte landen können: Bryn Terfel. Wer hätte damals vermutet, dass Tenor und Bassbariton zwei Jahrzehnte später in ähnlicher Stimmlage antreten würden?

Ein unverwechselbares Timbre, darstellerische Intensität sowie eine vor Energie nur so strotzende, aber stets differenzierte Singweise zeichnen Terfel nach wie vor aus, der seit seinem letzten Staatsopern-Falstaff 2007 hier nicht mehr aufgetreten war – und zugunsten seiner Familie auch schon Premieren hat platzen lassen. So blieben vor allem Terfels Wagner-Partien bisher Bühnen wie Covent Garden und der Met vorbehalten; nächste Saison soll in Wien mit dem „Holländer“ da eine erste Abhilfe geschaffen werden.


Äußerste Noblesse. „Recondita armonia“, sinniert Cavaradossi. Doch nicht nur die von ihm gemalte Maria Magdalena und seine geliebte Tosca gleichen einander auf unergründliche Weise, auch zwischen Domingos Francesco Foscari und Terfels Scarpia gibt es eine Parallele. Denn so wie der unbeugsame Marathonmann der Oper seine überforderten Partner an Präsenz und künstlerischem Niveau klar hinter sich lässt, wie die Kommentatoren fast einvernehmlich melden, ragt auch Terfel aus der aktuellen „Tosca“-Besetzung der Staatsoper nicht bloß äußerlich hünenhaft hervor – selbst wenn der Abstand in diesem Fall weitaus weniger dramatisch ausfallen mag.

Er legt diesen Abstand, wie es bei Hofmannsthal heißt, in jede Gebärde – stimmlich ebenso wie szenisch. Sein Scarpia wird manchmal laut, selbstverständlich – aber er brüllt nie, auch dann nicht, wenn das Staatsopernorchester unter dem stets zuverlässigen Paolo Carignani lustvoll die Muskeln spielen lässt. Vielmehr übertüncht Terfel die schwarze Seele des Despoten auf packende Weise mit äußerer Noblesse und Feinsinn, verlässt sich nicht bloß auf Saft und Kraft, sondern fächert seine Bosheiten differenziert auf, stößt sie manchmal hinter zusammengebissenen Zähnen hervor – oder raunt Cavaradossi klangvoll ins Ohr, seine Sturheit sei nicht gerade klug.


Hölzerner Caravadossi. Manchmal erinnert das, wenn auch zwei soziale Klassen darüber, an Tony Soprano aus der preisgekrönten Mafiaserie: ein Machtmensch, der über Leichen geht – aber nicht ohne Charme. Bei manch anderer Dame könnte er wohl ohne jede Gegenwehr landen, Toscas Abscheu weckt hingegen die brutalen Züge seiner kaum verhohlenen Wollust.

Martina Serafin und Massimo Giordano an der Spitze eines braven Ensembles wirken neben diesem ausgefeilten Porträt vor allem: bemüht. Die wackere Sopranistin mag durchaus mit der nötigen Heroinenpower ausgestattet sein, doch berichtet sie eher von Toscas eruptiver Leidenschaft, als dass sie diese stimmlich wie darstellerisch über die Rampe bringen könnte. Und warum Giordano, der hier im Februar in der Premiere von Cileas „Adriana Lecouvreur“ zu hören ist, „weltweit zu den führenden Tenören“ gehören soll, wie es auf dem Programmzettel heißt, wird bei seinem Cavaradossi nicht klar: Mit leicht gequälten, zu tief geratenden Phrasen in der Übergangslage und manch gestemmten, aber immerhin funktionierenden hohen Tönen hinterlässt der etwas hölzern agierende Sänger einen zwiespältigen Eindruck.

An diesem Abend, der Jubel bestätigte es zuletzt, hatte der Bösewicht doppelt gesiegt.

Steckbrief

Bryn Terfel hat Mozart hinter sich gelassen, ist vor allem als Wotan, Falstaff und Scarpia gefragt, singt aber im April in London auch wieder Méphistophélès in Gounods „Faust“.

2005 nahm er „Ça ira?“ auf, die erste Oper von Roger Waters (Pink Floyd), und hat Abstecher ins Musical unternommen („Sweeney Todd“).

2007 sagte er in London für die Premiere von „Siegfried“ ab, weil einer seiner drei Söhne operiert werden musste.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2014)

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