Claudio Abbado, ein Meister der Spontaneität

Claudio Abbado
Claudio Abbado(c) APA/Musacchio/ANSA (Musacchio/ANSA)
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Der Maestro aus Mailand, Chef der Scala, der Wiener Staatsoper und der Berliner Philharmoniker, Gründervater des Festivals Wien modern, starb 80-jährig in Bologna, wo er zuletzt das Orchestra Mozart aus Jugendlichen gründete.

Sein Name galt wohl auch vielen, die in ihrem Leben kein Konzert besuchen, als Synonym für klassische Musik. Die Funktionen, die Claudio Abbado in seinem langen Künstlerleben einnahm, zählten zu den gewichtigsten, die das internationale Musikbusiness zu vergeben hat – ob in seiner Heimat Chef der Mailänder Scala, in England Leiter des London Symphony Orchestra, in Wien Chefdirigent der Staatsoper, in Berlin der Philharmoniker, in Salzburg Spiritus Rector der Osterfestspiele . . .



Höher konnte man jeweils nicht steigen, und doch verlor Abbado nie das Image des liebenswert unengagierten, gar nicht ehrgeizigen Musikanten, der nur seine Zuneigung zur Musik lebte. Wo immer ihm eine Leitungsfunktion zufiel, gewann man den Eindruck, sie wäre dem Dirigenten geradezu aufgedrängt worden. Unvergesslich die Ernennung zum Nachfolger Herbert von Karajans in Berlin: Monatelang war Abbados Name an der Gerüchtebörse nicht einmal genannt worden – anlässlich des entscheidenden Konklaves tauchte er erst auf, als das Rennen entschieden war.

Traumwandlerisch zum Karajan-Erbe

„Ja, hatte Abbado denn die Berliner Philharmoniker überhaupt oft genug dirigiert?“, lautete die erste Frage, die Kommentatoren nach dem Coup stellten. Er hatte. Jedenfalls oft genug, um dem Orchester klargemacht zu haben, welches das wichtigste Wort war, das seine Karriere von Anbeginn begleitet hatte: Erfolg. Was immer dieser Mann angriff, die Rezensenten wie das Publikum reagierten mit Begeisterung – sogar dort, wo Kassandrarufe das geradezu notwendige Scheitern hervorzurufen geneigt waren.

Davon kann man gerade hierzulande ein Lied singen, denn Unternehmungen wie die Gründung des Festivals Wien modern galten traditionsgemäß als Rohrkrepierer. Was sollte dabei schon herauskommen, wenn sich Musiker – seien es auch Spitzenkräfte – wochenlang versammelten, um ausschließlich zeitgenössische Musik aufzuführen?

Ein Vierteljahrhundert später ist die Konzertreihe aus dem heimischen Musikleben kaum mehr wegzudenken. Man ist daran gewöhnt, sich während der Saison auch mit Neuem auseinanderzusetzen. Das hat, wie man mittlerweile weiß, auch weitreichende Folgen für die Programmgestaltung im Wiener Musikleben jenseits der „modernen“ Wochen gehabt.

Nicht, dass es zuvor nicht zahllose Initiativen für die Klangavantgarde gegeben hätte. Doch erst Abbados Engagement verhalf dem guten Vorsatz zum adäquaten Ergebnis.

Das war stets das Geheimnis um diesen Mann: Mitarbeiter berichten von geradezu aussichtslosen Anordnungen des Musikdirektors der Staatsoper. Die von Abbado gewünschte Besetzung war nicht zu realisieren, weil Sänger X hier, Sängerin Y da schon unter Vertrag standen. Die Aufführung nahte, hier und da wurde umbesetzt, in Wien sangen unter Abbado X und Y Verdi oder Mozart, Mussorgsky, Debussy und immer wieder Rossini.



Wie er das schaffte, war so unklar wie die Antwort auf die Frage, warum das Publikum auch bei unpopulären Repertoire-Entscheidungen stets mit Sympathie reagierte. In diesem Sinn gelang es dem Leiter der Berliner Philharmoniker, an eine programmatische Leitidee seines Vorgängers, Karajan, anzuschließen, der in den Sechziger- und frühen Siebzigerjahren ganz konsequent Werke der musikalischen Moderne und von Zeitgenossen einbaute. Abbado setzte die durch Karajans Krankheit unterbrochene Linie fort und legte damit den Grundstein für die Arbeit seines eigenen Nachfolgers, Simon Rattle. Drei Jahrzehnte nach Karajans Tod steht der Name Berliner Philharmoniker für ein völlig anderes Konzept der Musikvermittlung. Es wäre ohne Abbado undenkbar.

Abbados Wirkung auf die folgende Dirigentengeneration war eminent. Man bewunderte vor allem auch die rückhaltlose Hingabe der Orchestermusiker. Rattle schwärmte gesprächsweise einmal, die Wiener Philharmoniker nie so schön spielen gehört zu haben wie anlässlich der Aufführung von Bruckners Vierter unter Abbado. Kirill Petrenko weiß Ähnliches über eine Aufführung der Vierten Mahler mit dem Luzerner Festspielorchester zu berichten.

Tatsächlich, das war Abbados anderes Mysterium, gelang es ihm am Abend, inspirative Kräfte zu mobilisieren, die selbst Eingeweihte während der Proben nicht annähernd geahnt hätten. Diese Spontaneität wollte Abbado dann eben nicht nur Brahms oder Beethoven im Konzert, Rossini oder Verdi im Opernhaus widmen. Er wollte sie auch den Zeitgenossen zugutekommen lassen.

Im Dienste der musizierenden Jugend

So schrieb er nicht nur als kongenialer Interpret von Belcanto-Musikdramen Geschichte, sondern auch mit Aktionen, die er nicht selten an der Seite des auch politisch ähnlich engagierten Pianisten und Freundes Maurizio Pollini unternahm: Man musizierte Mozart, aber auch Luigi Nono. Das sicherte übrigens auch Zuwendung der Journalistik über die Feuilletonseiten hinaus.

Es waren keineswegs nur die Jahre an der Staatsoper, vielmehr auch die nie erlahmende Lust an Gründungen von Jugendorchestern, die Wiens Bürgermeister Zilk dazu bewogen, Claudio Abbado den Titel eines Wiener Generalmusikdirektors zu verleihen. Gerade das in den Achtzigerjahren, noch zu Zeiten des Eisernen Vorhangs gewagte Experiment mit dem Gustav Mahler Orchester, das Jugendliche aus allen Teilen der ehemaligen Habsburger-Monarchie vereinigte, erwies sich als dauerhaft – musikalisch hatte man damals schon demonstriert, dass Grenzen so festzementiert, wie sie scheinen, nicht sein müssen.

Daten und Fakten

In Mailand kam der Sohn eines Geigers und einer Klavierlehrerin am 26. Juni 1933 zur Welt. In der legendären Wiener Klasse von Hans Swarowsky holte er sich nach den Studien in Mailand den letzten Schliff als Dirigent.
Die erste Opernaufführung Abbados galt Prokofieffs „Liebe zu den drei Orangen“ in Triest. Leitende Positionen bekleidete Abbado als Chefdirigent der Mailänder Scala (1971–1986), des London Symphony Orchestra (1979–1987), der Wiener Staatsoper (1986–1992), der Berliner Philharmoniker (1989–2002), der Salzburger Osterfestspiele (1994–2002). Er gründete u. a. das
Gustav Mahler Jugendorchester und das Orchestra Mozart und half beim Wiederaufbau des Lucerne Festival Orchestra. Außerdem war er Gründervater des Festivals Wien modern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2014)

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