Bahn frei für böhmische Musiker

'RUSALKA'
'RUSALKA'APA/GEORG HOCHMUTH
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Ab Sonntag spielt man wieder Antonin Dvořáks „Rusalka“. Dass diese Oper ein Meisterwerk ist, hat sich erst auf langen Umwegen bis Wien herumgesprochen.

Dass die Staatsoper „Rusalka“ wieder in den Spielplan nimmt, ist keineswegs selbstverständlich. Gegen Opern böhmisch-mährischer Provenienz hegte man im Haus am Ring lange Zeit einige Vorbehalte. War es hofopern-, dann staatsoperntauglich, was die nördlichen Nachbarn fürs Musiktheater produzierten? Das erste Werk aus Prag, das hierzulande für nachhaltige Aufmerksamkeit sorgte, war Smetanas „Verkaufte Braut“, die man im Rahmen der Theaterausstellung von 1890 kennenlernte – und der dann lang anhaltender Erfolg in den Spielplänen gegönnt war. Dass sie in jüngster Zeit sträflich vernachlässigt wird, wird bedauern, wer zumindest via Tonträger mit Rudolf Kempes legendärer Plattenaufnahme aus den frühen Sechzigerjahren vertraut ist.

Wer da Fritz Wunderlich sehnsüchtig „Weit von hier“ singen hört, wird im Übrigen wohl zustimmen: Dergleichen Harmonie zwischen Klang und Aussage teilt sich dem Hörer nur mit, wenn er den Text versteht. Ähnliche Erfahrungen konnte man mit Leoš Janáčeks „Jenufa“ machen, wenn sich die Intensität der Verbindung von Sprache und Musik bei großen Darstellerinnen wie Sena Jurinac oder Astrid Varnay zur Siedehitze steigerte. Mag sein, die Musik harmoniert hundertprozentig nur mit dem Tschechischen – aber wer dieser Sprache nicht mächtig ist, geht leer aus...

„Rusalka“ brachte in dieser Hinsicht übrigens die Kehrtwendung. Anlässlich der Wiener Einstudierung von Otto Schenks naturalistischer Münchner Inszenierung beschloss man angesichts eines durchwegs mit dem Tschechischen vertrauten Sängerensembles während der Proben, lieber das Original als die Übersetzung zu singen!

Das zähe Ringen um Meisterwerke

Das war, 1987, die späte Erstaufführung dieser Oper im Haus am Ring! Böhmische Meisterwerke hatten es, wie gesagt, nicht leicht. Den Erstversuch mit „Jenufa“ verdankte man einst politischem Kalkül. Das Werk feierte im letzten Jahr des Ersten Weltkriegs, im Februar 1918, Premiere an der Hofoper. Publikumsliebling Maria Jeritza war für die Titelpartie aufgeboten; die Habsburgermonarchie zerbrach trotzdem – und „Jenufa“ verschwand noch vor dem Ende des Krieges wieder vom Spielplan.

Nach 1945 kam man im Theater an der Wien trotz der rassigen Ljuba Welitsch nicht viel weiter. Erst Otto Schenks erste Regiearbeit – mit Sena Jurinac in der Titelpartie und Martha Mödl als Küsterin – hielt sich. Sie blieb mit Unterbrechungen von 1964 bis Anfang der Neunzigerjahre im Spielplan. Noch die letzten Wiederaufnahmeserien, in denen die Jurinac und dann Leonie Rysanek zur Küsterin geworden waren und Gabriela Benačková eine blühend schön singende Jenufa gestaltete, ernteten lauten Applaus; allerdings von einer überschaubaren Gemeinde von Enthusiasten. Die Auslastungszahlen blieben niedrig. Selten hat Wiens Publikum Spitzenqualität (unter Dirigenten wie Charles Mackerras oder Vaclav Neumann) so konsequent mit Missachtung gestraft.

Ähnliches galt für für Smetanas „Dalibor“ (immerhin mit der Rysanek!) und „Jenufas“ Schwesterwerk, „Katja Kabanova“, das in einer glänzenden Inszenierung von Joachim Herz nur zwei Spielzeiten lang überlebte, aber nicht von ungefähr von Eberhard Waechter als Vorzeigeproduktion für seine erste (und einzige) Spielzeit gewählt wurde, die ausschließlich der Repertoire-Aufwertung galt und fast ohne Premieren auskam!

Erst mit der aktuellen „Jenufa“-Inszenierung, die unter der Leitung des Musikdirektors Seiji Ozawa 2002 Premiere hatte, wendete sich das Blatt. Die Zuschauer akzeptierten auf breiter Basis den Status dieser Oper als Meisterwerk. Mehr als 30 Mal stand das Stück mittlerweile in dieser Inszenierung auf dem Spielplan – und inspirierte die neue Direktion des Theaters an der Wien zum Versuch mit „Katja Kabanova“ (unter der Leitung des zuvor schon für Smetanas „Dalibor“ engagierten Kirill Petrenko) und die neue Führung der Staatsoper zu einem ganzen Janacek-Zyklus, der mit einer weiteren „Katja“ und dem Spätwerk „Totenhaus“ begann – und demnächst mit dem wiederum von Schenk inszenierten „schlauen Füchslein“ fortgesetzt wird. Sowohl „Füchslein“ als auch das späte, nach trostloser Dostojewski-Vorlage gearbeitete „Totenhaus“ galten über Jahrzehnte als nicht staatsoperntauglich. In der Volksoper gab es eine beachtliche „Totenhaus“-Aufführung, die der damalige Direktor Karl Dönch stolz im Spielplan hielt, obwohl die Auslastung dem Vernehmen nach unter die 40-Prozent-Grenze sank und Abonnenten die Volksoper während der Aufführung – nicht immer stillschweigend (!) – verließen.

Ein „Jahrhundert-Team“ für Janáček

Dafür war der Jubel umso größer, als das legendäre Bayreuther „Jahrhundert-Ring“-Team Patrice Chéreau und Pierre Boulez anlässlich der Festwochen eine Neuinszenierung an der Wien präsentierte. Diese Aufführung ging in Gastspielreisen um die Welt. Erstmals exportierte Wien und nicht Brünn Janáček. Heinz Zednik, der legendäre Mime der Bayreuther Tetralogie, war auch im „Totenhaus“ mit von der Partie.

Als Publikumsliebling konnte er aber den bisher einzigen Wiener Versuch mit der skurrilsten aller Janáček-Opern, den „Ausflügen des Herrn Broucek“, nicht retten. Er missglückte mangels Regiekonsistenz in der Volksoper total. Was in diesen Träumereien eines Prager Kleinbürgers steckt, hört man auf einer Aufnahme aus München, in der wiederum der große Fritz Wunderlich brilliert – und auf das Wort „Technik“ ein hohes C von strahlendem Glanz singt, während Lorenz Fehenberger in der Titelpartie von seinen Schweinswürsteln träumt...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2014)

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