Schubert und Mahler, ganz privat erlebt

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Franz Welser-Möst übernahm kurzfristig die Leitung eines Abonnementkonzerts der Philharmoniker.

„Kein' Musik ist ja nicht auf Erden, die unserer verglichen kann werden“, sang Juliane Banse im Ausklang des Vormittags mit weichem, fraulich erblühtem Sopran. Schöner hätte man das Motto des philharmonischen Abonnementkonzerts nicht formulieren können. Ich musste an Friedrich Gulda denken, der es weniger vornehm einst zu den Klängen des Fiakerlieds für sein Metier auf den folgenden Nenner brachte: „Ein Pianist, das kann a jeder werdn. Aber spieln, das könn ma halt nur in Wean.“

Derlei zugegeben chauvinistische Assoziationen kann sich kaum verkneifen, wer die Philharmoniker unter Franz Welser-Mösts Leitung Schubert und Mahler spielen hört. Da wird zuerst einmal senza complimenti musiziert. Auf Schminke, auf expressionistische Drücker und Effekte wird vollständig verzichtet. Die Melodien der „Unvollendeten“ erklingen ohne Rubato, streng im Tempo – und doch phrasiert der Soloklarinettist ein selbstvergessen, schier endlos scheinendes Solo, als dürfte er völlig frei improvisieren. Dergleichen scheinbare Paradoxa zählen zu Wiens Geheimnissen.

Auch Mahlers Vierte spielt man schlank, schlackenlos in all ihrer kaleidoskophaften Buntheit, ja Grellheit – gegen die sich die weich über alle Taktstriche hinweg modellierten lyrischen Gesangslinien absetzen, schlicht, aber von großer emotionaler Ausdruckskraft getragen. Ich glaube nicht, dass seit Rafael Kubeliks Zeiten im Musikverein Mahler je so musikantisch gradlinig gespielt worden ist. Und man meint, dass das meiste von dem, was Interpreten seither an großem Klangtheater einer Partitur wie dieser aufgepfropft haben, die Entfaltung von Mahlers Erzählkunst eher gehemmt, camoufliert, übertüncht haben.

An diesem Vormittag, den Orchester und Dirigent dem Andenken des kürzlich verstorbenen Claudio Abbado widmeten, hörte man beide Symphonien wie eine Offenbarung, befreit von jeglicher falschen Sentimentalität, getragen von ehrlicher Gefühlstiefe. Dass diese sich einstellt, wenn sich Musiker zunächst als möglichst getreue Anwälte des Notentextes verstehen, gehört zu den viel beschworenen Geheimnissen wienerischer Musizierkultur – „philharmonisch“, das ist, wenn ein Orchester zwischen den Zeilen zu lesen versteht. (sin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2014)

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